Diagnostizieren, etikettieren, stigmatisieren
Das ist gar nicht so selten, dass Sozialarbeiter/*innen damit konfrontiert sind, dass die Menschen, mit denen sie arbeiten sollen, in Kliniken, Praxen oder Schulen Labels verpasst bekommen. Und diese Labels können ziemlich unerfreuliche Auswirkungen haben. Denn es macht etwas aus, ob man eine Verhaltensstörung attestiert bekommt oder ein Asperger Syndrom. Wer als lernbehindert eingestuft wird, für den bleibt nur ein Leben am Rande der Gesellschaft – Legastheniker können alles werden. Und auch die anderen Kategorien von Boderline bis zu Wahrnehmungsstörungen haben z. T. gravierende Auswirkungen. Das Seminar erklärt deshalb, wie solche Diagnosen fallen. Es stellt einige Testverfahren vor und erklärt, worauf man achten muss, wenn man für die Rechte seiner Adressat*innen eintreten will.
Dieses Seminar richtet sich an Studierende der Sozialen Arbeit (Modul 4.4).
Im Grundsatz geht es darum zu verstehen, wie Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen ticken. Denn evidenzbasiertes Denken unterscheidet sich doch sehr von dem, was Sozialarbeiter*innen normalerweise wichtig ist und was Studierende der Sozialen Arbeit normalerweise in ihrem Studium lernen. Ein wichtige Basis evidenzbasierter Medizin und evidenzbaierter Psychotherapie ist die Annahme, dass man eine Störung, ein Problem genau und objektiv diagnostizieren muss, um auf dieser Basis in Auseinandersetzung mit quantitativen Forschungsbefunden zu entscheiden, welche Behandlungsmethoden in Frage kommen. Dabei kommen in aller Regel Testverfahren zum Einsatz. Und diese Testverfahren entscheiden manchmal sehr weitgehend darüber, welches Leben die Klient*innen leben können, und welche Lebensläufe schwierig werden oder gar ausgeschlossen sind.
Wie in jedem Metier gibt es allerdings auch in der diagnostischen Arbeit gute Verfahren und schlechte Verfahren. Die Lehrveranstaltung erklärt in einem ersten Teil deshalb, wie man gute von schlechten Verfahren unterscheidet. Der zweite Teil befasst sich mit Störungsbildern, denen Sozialarbeiter*innen häufig begegnen. Dabei geht es nicht allein nur darum, zu verstehen, was die diagnostischen Merkmale der Störungsbilder sind, wie häufig sie sind und welche Behandlungsmethoden eingesetzt werden. Sondern es geht auch darum, welche Fehler in der diagnostischen Arbeit auftreten können und welche Folgen Diagnosen haben können.
Erste Sitzung
In der ersten Sitzung stelle ich mich vor. Ich informiere Sie, welche Standards gelten, wenn Sie sich für eine modulabschließende Prüfung bei mir entscheiden wollen. Und dann geht es gleich zur Sache. Ich bitte die Anwesenden, mir Vorschläge zu machen, wie man Legasthenie diagnostizieren soll. Die Teilnehmer*innen finden heraus, dass die Diskrepanzdefinition eine wichtige Rolle in der Legathenieforschung spielt. Legastheniker können also viel schlechter lesen und schreiben, als man von ihrer Intelligenz her erwarten müsste. Entsprechend ist es sinnvoll, den IQ zu erheben sowie die Lese/Rechtschreibleistung. Dabei hat die Auswahl des Testverfahrens erhebliche Auswirkungen auf die ermittelten Testwerte. Alte IQ-Tests lassen den IQ höher ausfallen, als er tatsächlich ist. Unfaire Testverfahren können z. B. bei Kindern aus von Armut betroffenen Familien oder bei Kindern mit Migrationsgeschichte dafür sorgen, dass der IQ deutlich niedriger ausfällt als er eigentlich ist.
Zweite Sitzung
Die zweite Sitzung befasst sich mit den Begriffen Stigmatisierung und Etikettierung.
Hier ein passender Podcast aus dem vorangehenden Semester:
Tabelle 61 Positionen von George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft (zuerst englisch 1934) |
Mead untersucht u.a. Interaktion und Verstehen unter Menschen. Bekannt geworden ist Geist, Identität und Gesellschaft vor allem durch seine Thesen zur Identität und zum Fremdverstehen. Grundgedanke ist die Überlegung, dass Identität entsteht, indem man sich aus der Perspektive anderer wahrnimmt. Diesen Mechanismus nennt Mead „role-taking“, ein Konzept, das später von Piaget und Nachfolgern wieder aufgegriffen wird und in heutigen Zusamenhängen unter dem Begriff theory of mind diskutiert wird. Role-Tanking funktioniert bei Mead nicht nur in Bezug auf konkrete andere. Sondern Menschen können sich selbst auch aus der Perspektive von sozialen Gruppen wahrnehmen oder noch allgemeiner aus der Perspektive des „Verallgemeinerten anderen“. Identität umfasst dabei einerseits die tatsächlich gesprochenen Worte und Emotionen (Mead bezeichnet diesen Teil der Identität als „I“) und andererseits die organsierte Gruppe anderer (Mead prägt hierfür den Begriff „me“). |
Tab 4: Identität & Stigma nach Goffman (1962) |
virtuale soziale Identität als das, was andere von uns erwarten aktuale soziale Identität als das, was wir wirklich sind Stigmatisierung als Diskrepanz zwischen aktualer & virtualer sozialer Identität (bei diskreditierenden Erwartungen anderer) 3 Arten von Stigmata: Abscheulichkeiten des Körpers, individuelle Charakterfehler, phylogenetische Stigmata (Rasse, Nation, Religion) |
Tab 5: Auswirkungen des Stigmas auf die Interaktion nach Goffman (1962) | |
Stimatisierte unsicher, weil sie spüren, dass das Stigma wahrgenommen wird Gefühl nicht zu wissen, was andere denken defensives Sichverkriechen oder feindselige Kontakte | Normale Antizipation der Probleme so tun, als gebe es das Stigma nicht so tun, als sei der Stigmatisierte ein Niemand |
Tab 59: Howard S. Becker (1963) |
Abweichendes Verhalten setzt Regeln voraus, deren Verletzung abweichendes Verhalten konstituiert. Diese Regeln werden durchgesetzt, wenn die Durchsetzer darin einen Vorteil sehen. Die Durchsetzung/ das Aufzwingen von diesen Regeln basiert auf Macht und Stellung. Etikettierung umfasst als Prozesseinen Verstoß gegen eine Regel die (öffentliche) Definition dieses Regelverstoßes als abweichendes Verhaltendie Chancenreduzierung des Etikettierten die Übernahme der Fremddefinition als Folge: eine deviante Karriere |
Dritte Sitzung und vierte Sitzung
In der dritten Sitzung geht es zunächst um die Frage, woran man gute Normierungsuntersuchungen erkennt. Denn wenn Testverfahren entwickelt werden, kann man einige problematische Entscheidungen treffen.
In einem zweiten Teil der Sitzung geht es um Objektivität, also der Frage, in welchem Ausmaß die Durchführung, Auswertung und Interpretation von Testverfahren von den Testenden beeinflusst wird.
Im dritten Teil der Sitzung sollen die jeweils zur Analyse ausgewählten Testverfahren auf die Frage hin untersucht werden, ob die Normen ok sind und ob die Objektivität ausreichend belegt wurde.
Normierung
Die Objektivität gilt als wichtigstes Gütekriterium von Testverfahren. Belegt wird sie normalerweise dadurch, das mehrere Testende miteinander verglichen werden. Hierzu müssen die gleichen Getesteten mehrfach von unterschiedlichen Testleiter*innen untersucht werden. Je nachdem, wie hoch die prozentuale Übereinstimmung zwischen den Testleiter*innen ausfällt, kann man sagen, ob ein Test objektiv ist oder nicht.
Objektivität
Fünfte Sitzung
Die fünfte Sitzung arbeitet zunächst noch einmal am Thema Objektivität. Die Teilnehmer*innen haben die Unterlagen zu diesem Thema noch nicht vollständig bearbeitet.
Das nächste Gütekriterium, das hier untersucht werden soll, ist die Reliabilität. Hört sich kompliziert an und ist auch kompliziert. Zwar könnte man sagen, dass die Reliabilität
z. B. untersucht, ob die Kinder, die Weihnachten getestet wurden, auch noch Ostern die gleichen Werte zeigen. Aber es ist sinnvoll, sich diesen Punkt genauer anzuschauen.
Das Problem ist, dass Reliabilität durch Korrelationskoeffizienten belegt wird. Man prüft also den Zusammenhang z. B. zwischen Testzeitpunkt 1 und Testzeitpunkt 2 dadurch, dass man die erreichten Testwerte bei einem wesentlichen Anteil der untersuchten Kinder korreliert. Das nennt sich dann Test-Re-Test-Reliablilität. Also ist es sinnvoll, zu verstehen, was Korrelationen sind. Auch dies ist nicht ganz einfach. Denn als Voraussetzung zum Verständnis von Korrelationskoeffizienten muss man auch verstehen, was die Standardabweichung ist. Und diesen Kennwert erkläre ich als erstes.
Standardabweichung
Bei der Berechnung von Korrelationen muss man auf die Standardabweichung zurückgreifen. Vermutlich ist es zunächst einmal verwirrend, dass es unterschiedliche Korrelationskoeffizienten gibt. Es gibt solche, die mit dem Arithmetischen Mittel arbeiten. Und es gibt Korrelationskoeffizienten, die die gemessenen Werte in eine Rangreihe bringen. Bei der Berechnung von der Reliabilität wird normalerweise ein mittelwertsbasierter Korrelationskoeffizient verwendet.
Korrelationskoeffizienten
Sechste Sitzung
Die sechste Sitzung befasst sich zunächst mit dem Standardmessfehler bzw. dem Vertrauensintervall. Denn die diagnostische Arbeit geht davon aus, dass es einen Unterschied zwischen den im Test ermittelten Wert und dem wahren Wert gibt. Der aus dem Reliabilitätskoeffizient und der Standardabweichung leicht zu errechnende Standardmessfehler gibt nun an, wie groß z. B. bei einer zugrunde gelegten Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % der Bereich ist, in dem der wahre Wert zu vermuten ist. Je größer dieses Vertrauensintervall ausfällt, desto schlechter zu gebrauchen ist i.d.R. der Test. Das ist wichtig zu wissen, denn einige Gutachten zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs befassen sich mit derlei Feinheiten nicht. Und das ist ein interessanter Punkt, wenn man einen Widerspruch schreiben will.
Reliabilität und Standardmessfehler
Siebte Sitzung: Recherche
Die Sitzung vor der Blockwoche dient der Einführung in die Datenbankrecherche. Denn die Podcasts sollen ja nicht die Sicht der Sozialen Arbeit oder von Ratgeberliteratur auf die diversen Störungsbilder transportieren. Sondern sie sollen seriöse Informationen aus medizinischer, psychologischer und psychiatrischer Fachliteratur bereit stellen.
Dies bedeutet zunächst ein anderes Vorgehen. Sie sollten nicht googeln. Denn Google weiß, was Sie studieren. Und Google informiert Sie nicht darüber, was an Fachliteratur zu Ihrem Thema erschienen ist. Sondern Google stellt auf Basis Ihrer bisherigen Suchen, auf Basis Ihrer bisherigen Käufe im Internet und auf Basis der Informationen, die Sie bei, Browsen hinterlassen haben, Vermutungen darüber an, was Sie interessieren könnte. Das Ergebnis ist immer einseitig und verzerrt. Sie sollten auch nicht in der Bibliothek Ihrer Wahl nach Büchern schauen, die Ihnen passend vorkommen. Denn Biblioheken bieten immer nur eine kleine Auswahl an Büchern und Zeitschriften (Ausnahme: Deutsche Bibliothek in Frankfurt bzw. Leipzig). Und manchmal ist das, was Sie in Bibliotheken finden eher typisch für die Interessen der Nutzer*innen als aussagekräftig für den Stand der Forschung. Die EvH Bibliothek stellt darüber hinaus vor allem Literatur für die Soziale Arbeit bzw. Heilpädagogik zur Verfügung. Und diese Sicht der Dinge sollen Ihre Podcasts ja nun gerade nicht transportieren.
Wie recherchieren Mediziner und Psychotherapeuten? Sie nutzen Fachdatenbanken. Wichtig sind vor allem Pubmed.ncbi und Pubpsych de. Es ist zwar nicht so, dass hier keine Fake-Studien und kein wirres Zeug zu finden ist. Aber der Anteil an unseriöser Literatur ist hier tatsächlich bedeutend geringer als bei einer Internetrecherche oder als in den meisten Bibliotheken.
Pubmed.ncbi ist die wichtigste englischsprachige Fachdatenbank weltweit. Pubpsych de enthält mit dem Psyndex die wichtigste deutschsprachige psychologische Fachdatenbank. Entsprechend sollten Sie in Pubmed.ncbi englischsprachige Suchbegriffe verwenden und in Pubpsych deutschsprachige. Sie werden in der Regel in Pubmed deutlich mehr Hinweise auf Literatur finden. Und der Anteil der frei zugänglichen Literatur ist viel höher.
Datenbankrecherche
Achte Sitzung: Validität und Fairness
Die achte Sitzung setzt die in der sechsten Sitzung begonnene Auseinandersetzung mit der Frage nach Validität fort und untersucht die Unterlagen auf den Punkt prognostische Validität.
Validität
Zweiter Schwerpunkt dieser Sitzung ist die Fairness von Testverfahren. Denn in den untersuchten Testverfahren schneiden Kinder aus von Armut und/oder Migration betroffenen Familien sehr unterschiedlich ab. Es gibt Testverfahren, in denen diese Kinder besonders schlecht abschneiden. Und es gibt Testverfahren, in denen diese Kinder passable Ergebnisse erzielen. Dies wissen die meisten Gutachter*innen sehr genau. Sie überlegen sich, welche Ergebnisse sie bevorzugen würden und wählen dann den Test aus, der zu dem gewünschten Ergebnis führt. Das ist fatal, wenn z. B. Förderschulen auf der Suche nach Schüler*innen sind.
Fairness
Neunte Sitzung
Mit der neunten Sitzung beginnt der zweite Teil der Veranstaltung: Die Auseinandersetzung mit Störungsbildern. Den Anfang machen Probleme, die mit Lesen und Schreiben zu tun haben, also z. B. Legasthenie, Lernbehinderung und Auditive Wahrnehmungsstörung. Um verstehen zu können, was alles falsch laufen kann in der Lese/Schreibentwicklung beginnt das Seminar mit der Frage, wie Kinder normalerweise lesen und schreiben lernen.
Wie Kinder lesen und schreiben lernen
Zehnte Sitzung: Der Einfluss von Bilingualität
Bilingualität hat einen beachtlichen Einfluss auf die Lese-/Schreibentwicklung. Man kann ziemlich gut erklären, warum sich bei bilingualen Kindern Schulleistungsrückstände z. B. im Fach Deutsch zeigen. Etwas schwieriger wird die Angelegenheit, wenn man der Frage nachgeht, warum dies bei unterschiedlichen Sprachen in unterschiedlichem Ausmaß passiert.
Der Einfluss von Bilingualität auf die Literacy-Entwicklung
Tab 46: Erklärungsmodelle für schlechte Lese-/Schreibkompetenzen von Kindern mit Migrationshintergrund in deutschen Schulen |
Erweiterte Schwellen/Interdependenzhypothesie in Anlehnung an Cummings: Bilinguale Kinder müssen in ihrer ersten Sprache ein Mindestniveau erreicht haben, damit sie in ihrer zweiten Sprache angemessene Entwicklungsschritte machen können |
Lese-Schreibentwicklung enthält für bilinguale Kinder höhere Entwicklungsanforderungen (z. B. Mand 2008): Phonetisches Problem, Wortschatzproblem, Grammatikproblem) |
Mand 2012: Bilinguale Kinder entwickeln in Deutschland vor allem deshalb Lese-/Schreibprobleme, weil sie besonders häufig aus armen Familien stammen. Das entscheidende Problem ist also nicht die Bilingualität. Sondern das entscheidende Problem ist die Armut. |
Tab 48 Mand 2018 / Befunde aus der Dortmunder Wortschatzstudie: Testergebnisse aus Brennpunktkitas und Brennpunktschulen des Ruhrgebiets | |||||
| AWST Rdeutsch | AWST Rrussisch ( angegeben sind die t-Werte, die der deutschen Eichstichprobe entsprechen) | HSP 1 +Richtige Wörter | Stolperwörter Richtige Sätze | |
Arithmetisches Mittel (t-Wert) | 32.05 | 25.03 1 | 48.34 | 18,36 | |
| D. | n. D. | |||
entspricht Prozentrang | 3 | 2.1 | 76 | 20 | |
N | 43 | 29 | 47 | 45 | |
Tab 50 Rechtschreibfehler, die bei der phonetischen Schreibung entstehen (Mand 2012) | |
Hund | Chnt, Chunt, Hnt, Homt, Hon, Hond, Hont, Hot, Hout, Ht, htot, Hunnt, Hunt, Hut, Ont, Unt, Uont |
Mäuse | Maas, Maosl, Maoz, Mas, Mass, Maise, Mauise, Meas, Mese, Meise, Meuise, Meus, Meusä, Meusä, Meusae, Meuse, Meusee, Meusse, Meusu Moeuse, Moisä, Moise, Moisen Mojse, Mösä, Möse, Mose, Mosen, Mosi, Moze, Mouse, Moyse, Mse, Muise, Mujse, Mulse, |
Das ist nicht das erste Mal, das ich der Frage nachgegangen bin, ob kommunale Daten wie oder Anteil von Bürgern nicht deutscher Staatsbürgerschaft Auswirkungen auf Förderschulquoten haben. Den Anfang macht eine Studie, die ich 2006 in der Zeitschrift für Heilpädagogik veröffentlich habe (Mand, J.: Integration für die Kinder der Mittelschicht – Förderschulen für die Kinder der Arbeitslosen und Ausländer). Und Anfang des Jahres 2023 lassen sich noch immer solche Zusammenhänge finden.
Kinder mit nicht deutscher Staatsbürgerschaft schneiden sehr unterschiedlich in Schulen NRWs ab. Am schlechtesten der hier untersuchten Nationen schneiden Kinder mit serbischer Staatsbürgerschaft ab. Besser als die Kinder mit deutscher Staatsbürgerschaft sind die Schüler mit vietnamesischer Staatsbürgerschaft.
Elfte Sitzung
Die elfte Sitzung hat sich auf Wunsch der Teilnehmer*innen noch einmal mit den studentischen Podcasts befasst. Dabei zeigte sich, dass die bisherigen Informationen vielleicht etwas kurz waren.
Ich möchte zunächst noch einmal die inhaltlichen Schwerpunkte wiederholen, die Ihre Podcasts abbilden sollen:
- Was ist das für ein Störungsbild?
- Wie wird das Störungsbild diagnostiziert?
- Wie häufig ist das Störungsbild (Prävalenz)
- Welche evidenzbasierten (also nachweislich wirksamen) Methoden kommen in der Therapie zum Einsatz?
- Sind die so Diagnostizierten Etikettierung oder Stigmatisierung ausgesetzt.
Weil Sie ja in den Podcasts die Perspektive von Medizin und Psychiatrie abbilden sollen, sollten Sie – wenn möglich – ausschließlich Fachdatenbankliteratur verwenden. Bei den hier betrachteten Störungsbildern sind das Pubmed.ncbi … und Pubpsych de. Dabei ist es wichtig, dass Sie auch sagen oder in Ihrem PDF schreiben, wann Sie in welchen Datenbanken mit welchen Suchbegriffen und Trefferzahlen gesucht haben, welche Filter Sie verwendet haben und präzise auch Ihre Auswahlkriterien kommunizieren. Letztere sollten so gestaltet sein, dass ich bei Anwendung der Auswahlkriterien zum gleichen Ergebnis gelange wie Sie. Dabei gibt es zulässige (z. B. Auswahlkriterium Publikationszeitraum von … bis …) und nicht zulässige Auswahlkriterien (z. B. Auswahl des 3. , 7. und 11. Treffers – unzulässig, weil sich der Bestand der Literatur andauernd ändert).
Wie das geht, beschreibt dieser Podcast aus meinem Bestand.
Dokumentation von Datenbankrecherchen
Wenn Sie dies zeitlich überfordert, könnten Sie auch auf die 2. Auflage des Lehrbuchs Verhaltenstherapie Band 3 (Schneider / Markgraf ) zurückgreifen. Dieses stellt seriöse und belastbare Informationen zur Verfügung. Andere Literatur (z. B. aus Ihrem Bestand) sollten Sie nicht hinzufügen. Denn es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass diese Literatur sich eher auf die Perspektive der Sozialen Arbeit bezieht – und das ist in diesem Seminar ja nun gerade nicht gefordert. Und das Hinzufügen von Literatur aus anderen Quellen zerstört die Nachvollziehbarkeit der Recherche.
Wenn Sie sich ausschließlich auf das Lehrbuch der Verhaltenstherapie konzentrieren, hat dies allerdings auch (moderate) Auswirkungen auf die Benotung. Denn, wer sich weniger Arbeit macht, erhält dafür nicht zwingend die Bestnoten.
Weil Sie ja auch empirische Studien lesen und verstehen müssen, füge ich hier einen weiteren Podcast zur Bewertung von empirischen Studien ein.
Empirische Studien bewerten
Zwölfte Sitzung (18.12.; Online-Sitzung)
In der zwölften Sitzung steht das Thema Verhaltensstörungen auf dem Programm. Studierende, die auch das Seminar „Verhaltensstörung, Trauma und Gewalt“ besuchen, müssen an diesen Sitzungen nicht teilnehmen. Denn sie haben vergleichbare Inhalte bereits in deutlich ausführlicherer Fassung kennengelernt. Aber hier wird ein im Präsenzseminar noch nicht bearbeiteter Fall vorgestellt.
Verhaltensstörungen
Tab 5 Prävalenzzahlen Verhaltenstörungen | |
Remschmidt/Walther 1990 Mand 1995 (Berlin, 4. Klasse) KMK 1999 MSW 2002KMK für Schlahr 2018 Mand2007 (NRW, 4. Klasse) | 13 % – 31 % 1991: 12,5 % Grund- 1994: 16,1 % schulen 0,36 0,47 D: 0,56 % in der FörderschuleNRW: 1,02 % in der Förderschule 11 % (GE-Schulen) 38 % (F-Schulen L) |
Tab 6: Begriff Verhaltensstörungen: AO-SF § 5 (3) |
Erziehungsschwierigkeit liegt vor, wenn sich eine Schülerin oder ein Schüler der Erziehung so nachhaltig verschließt oder widersetzt, dass sie oder er im Unterricht nicht oder nicht hinreichend gefördert werden kann, und die eigene Entwicklung oder die der Mitschülerinnen und Mitschüler erheblich gestört oder gefährdet ist. |
Tab 7 Relativität von Verhaltensstörungen |
Verhaltensstörungen und ihre Synonymbegriffe sind relativ (Bach 1989)Sie sind eher das Ergebnis eines vergleichsweise komplexen Prozesses mit vielen Beteiligten als eine feste Eigenschaft (Mand 2003)Dies hat Auswirkungen auf die Zahlen und die Diagnose |
Tab 8: Auswirkungen von Beobachtervariablen auf die Wahrnehmung auffälligen Verhaltens | |
Geschlecht | Houghton u.a. (1988), Kearny & Plax (1986), Kearny & Plax (1987), Mittelmark & Pirie (1988), Borg & Falzon (1989), vgl. Bach u.a. (1984), Mc Intyre (1988), Mand (2002 b), Baumgardt/Mand/Ostermann (2008) |
Alter, Berufserfahrung, Berufszufriedenheit des Lehrers | Tornow (1978), Bach (1987), Kearny & Plax (1986), Kearny u.a. (1987), Camp (1987), Mand (1995), Mand (2002 a) |
Pädagogische Arbeit | Wetzel (1978), Vaughn & Lancelotta (1986), Lochman u.a. (1987), Trovato u.a. (1992), Harris u.a. (1992), Fuchs u.a. (1989), Mand (1995) |
Tab 45: Standardisierte Instrumente in der Diagnose von Verhaltensstörungen |
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Aufgrund der Relativität des Begriffs Verhaltensstörung und seiner Synonymbegriffe lässt sich nicht direkt erheben, ob Verhaltensstörungen vorliegen oder nicht. Der diagnostische Alltag behilft sich deshalb mit Instrumenten, die untersuchen, ob Kinder/Jugendliche für verhaltensgestört gehalten werden. Ein weit verbreiteter Fragebogen ist die Child Beaviour Checklist (CBCL), die auch in deutscher Bearbeitung vorliegt (Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 1993). Es gibt eine überarbeitete Fassung, die allerdings auf den alten Daten beruht und lediglich neu berechnet wurde (Esser, G., Hän- sch-Oelgart, S. & Schmitz, J. (2017). TBS-TK Rezension: „CBCL/6-18R, TRF/6-18R, YSR/11-18R. Deutsche Schul- alter-Formen der Child Behavior Checklist von Thomas M. Achenbach“ Psychologische Rundschau, 69, 144 – 146). Kern der Fragebogen sind die Syndromskalen (113 Items in der TRF), in denen angekreuzt werden soll, ob Verhaltensweisen nicht, etwas/manchmal oder genau/häufig zutreffend sind (z.B. verhält sich zu jung für sein Alter, greift andere an, ist zappelig usw.). Die Auswertung addiert die Rohwerte und ordnet sie Indices zu (Internalisierende Verhaltensstörungen, externalisierende Verhaltensstörungen). Die Rohwerte können in Tabellen zu T-Werten zugeordnet werden.Aussagekräftig ist die CBCL insbesondere dann, wenn unterschiedliche Beurteiler (z. B. Eltern und Lehrer) zu vergleichbaren Einschätzungen kommen. |
Die Child Behavior Checklist
In der zwölften Sitzung möchte ich auch den ersten studentischen Podcast veröffentlichen. Dieser Podcast befasst sich mit Bindungsstörungen:
Bindungsstoerungen
13. Sitzung und 14. Sitzung (Online-Sitzungen vom 8.1.2024 und 15.1.)
Die ersten beiden Januarsitzungen werden für die Podcasts verwendet. Diese lade ich Podcast für Podcast hoch, wenn ich Zeit gefunden habe, mir die Podcasts anzuhören und die Podcast auch so sind, dass man sie hochladen kann.
Bitte geben Sie mir etwas Zeit. Das sind wirklich viele Podcasts. Und ich höre sie mir über mehrere Tage hinweg an. Ich melde mich per Mail bei Ihnen, sobald ich Ihren Podcast bearbeitet habe.