In der Jugendhilfe haben Sozialarbeiter*innen ziemlich häufig mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die sich nicht an Regeln halten. Sie sind aggressiv und laut. Sie haben Probleme in der Schule, sie machen Probleme in der Wohngruppe und sie haben Probleme mit der Polizei. Viele von ihnen sind traumatisiert. Diese Veranstaltung stellt die einschlägigen Störungsbilder vor und erläutert die wichtigsten theoretischen Konzepte. Sie erklärt, wie man in der diagnostischen Arbeit vorgeht. Und sie erklärt, was in der Psychotherapie für diese Kinder und Jugendlichen angeboten wird und welche Schlussfolgerungen hieraus für die pädagogische Praxis zu ziehen sind.
Diese Veranstaltung richtet sich an Studierende der Sozialen Arbeit im Modul 4.1
Erste Sitzung
In der ersten Sitzung informiere ich über den Aufbau des Seminars. Ich erkläre, welche Erwartungen ich habe, wenn Sie das Portfolio bei mir machen wollen. Und wir starten mit einem kleinen Planspiel: Die Teilnehmer*innen werden gebeten sich vorzustellen, die Saskia Esken hätte das Seminar darum gebeten, Maßnahmen zu entwickeln, die dafür sorgen, dass sich die Sylvester-Krawalle nicht wiederholen bzw. die die gestiegenen Zahlen in Sachen Jugendgewalt reduzieren helfen. Denn in den Koalitationsverhandlungen wolle sie vorschlagen, auch ein Sondervermögen Sylvester-Krawalle zu bilden.
Das Seminar hat sich überlegt, dass es vielleicht gar nicht schlecht ist, sich Gedanken darüber zu machen, wie man Jugendliche davon abbringen kann, jedes Jahr zu Sylvester die deutschen Innenstädte zu verwüsten. Deshalb kommen hier die Vorschläge:

Zweite Sitzung
Die zweite Sitzung konfrontiert die Vorschläge des Seminars mit einer Analyse von Johannes Mand. Der Vortrag stellt fest, dass die wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen zu Problemen in den Familien insbesondere in sozialen Brennpunkten führen. Der Verlust von Heimat, das Verschwinden von Jobs für gering qualifizierte Menschen, die schädlichen Auswirkungen exzessiver Nutzung von digitalen Medien und die abnehmende Bedeutungen Kirchen führen zu Sinnstiftungsproblemen, die kaum mehr aufgefangen werden können.
Hier ein passender Podcast, in dem ich erkläre, welche gesellschaftlichen Veränderungen zu den Problemen führen:
Tab 1: Auswirkungen gesellschaftlichen Wandels auf Jugendliche in sozialen Brennpunkten |
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Krieg und Vertreibung Globalisierung Digitalisierung / Robotisierung Abnehmende Bedeutung von Religion Folge: Familien sind in Schwierigkeiten Familien von Geflüchteten unter Assimilationsdruck bei geringen Lebenschancen. Erwerbsarbeit wird für große Teile der Bevölkerung weniger wichtig. Sinnstifter verschwinden. Einsamkeit, Isolation und psychische Erkrankungen nehmen zu. Kinder sind durch Zugänglichkeit von Pornographie und Gewaltdarstellungen in Gefahr, Beziehungen werden durch leichte Zugänglichkeit von Tinder & co destabilisiert. |
Tabelle 2: Mögliche Strategien |
Bundespolitik / Europapolitik: Fluchtursachen reduzieren Bündnisse stärken Effektive Besteuerung und Kontrolle der digitalen Konzerne – Robotersteuer Landespolitik / Kommunalpolitik: Finanzierung eines gemeindewesenorientierten Umbaus des Ruhrgebiets: Rückbau von Industriebrachen und Betonwüsten, Wohnungsbau von Armen für Arme, Förderprogramme für Handwerk, Naturschutz & Kultur Therapeutische Hilfen ausbauen Anti-Gentrifizierungs & Anti-Ghetto-Politik Ausbau/Umbau des Bildungs- & Sozialwesens: Elitenförderung & Armenbildung, Partnerschaft & Familie und Digitale Bildung als Unterrichtsfach Soziale Arbeit: Empowerment für ein gutes Leben, Präventionsorientierung Erziehungsbegleitung, Erziehungshilfemittel nach Bedarf und nicht nach Finanzkraft bereit stellen, Demokratische Kontrolle der Erziehungshilfe |
Dritte Sitzung: Verhaltensstörungen – eine Einführung
In der dritten Sitzung geht es um Verhaltensstörungen.
In einem ersten Schritt stelle ich dem Seminar einige Kinder vor. Die Aufgabe: Entscheiden, wer verhaltensgestört ist.
Vierte Sitzung: Begriffsdefinitionen, Rechtliche Grundlagen, Diagnostik
Wir betrachten die rechtlichen Grundlagen und befassen uns ein wenig mit der Begriffsdiskussion der Verhaltensgestörtenpädagogik.
Tab 6: Begriff Verhaltensstörungen: AO-SF § 4 (4) |
Erziehungsschwierigkeit liegt vor, wenn sich eine Schülerin oder ein Schüler der Erziehung so nachhaltig verschließt oder widersetzt, dass sie oder er im Unterricht nicht oder nicht hinreichend gefördert werden kann, und die eigene Entwicklung oder die der Mitschülerinnen und Mitschüler erheblich gestört oder gefährdet ist. |
Tab 7 Relativität von Verhaltensstörungen |
Verhaltensstörungen und ihre Synonymbegriffe sind relativ (Bach 1989). Sie sind eher das Ergebnis eines vergleichsweise komplexen Prozesses mit vielen Beteiligten als eine feste Eigenschaft (Mand 2003). Dies hat Auswirkungen auf die Zahlen und die Diagnose. |
Tab 8: Auswirkungen von Beobachtervariablen auf die Wahrnehmung auffälligen Verhaltens | |
Geschlecht | Houghton u.a. (1988), Kearny & Plax (1986), Kearny & Plax (1987), Mittelmark & Pirie (1988), Borg & Falzon (1989), vgl. Bach u.a. (1984), Mc Intyre (1988), Mand (2002 b), Baumgardt/Mand/Ostermann (2008) |
Alter, Berufserfahrung, Berufszufriedenheit des Lehrers | Tornow (1978), Bach (1987), Kearny & Plax (1986), Kearny u.a. (1987), Camp (1987), Mand (1995), Mand (2002 a) |
Pädagogische Arbeit | Wetzel (1978), Vaughn & Lancelotta (1986), Lochman u.a. (1987), Trovato u.a. (1992), Harris u.a. (1992), Fuchs u.a. (1989), Mand (1995) |
Tab 49: Lernbehinderungen, Verhaltensstörungen und einige ihrer Synonymbegriffe nach Mand 2003 | |
Verhaltensstörungen, Auffälliges Verhalten, Sopäd Förderbedarf im Bereich Em Soz | Lernbehinderung, Lernprobleme, Lernstörungen, Sopäd. Förderbedarf im Bereich Lernen |
Kernsymptome: Probleme in den Beziehungen zu Mitschüler/innen und Lehrer/innen Probleme im Arbeitsverhalten Probleme im Bewegungsverhalten Probleme in Aufmerksamkeit und Wahrnehmung Probleme im Umgang mit Gefühlen begleitende Symptome Probleme im Schriftspracherwerb Probleme in der Entwicklung mathematischen Denkens | Kernsymptome: Probleme im Schriftspracherwerb Probleme in der Entwicklung mathematischen Denkens begleitende Symptome Probleme in den Beziehungen zu Mitschüler/innen und Lehrer/innen Probleme im Arbeitsverhalten Probleme im Bewegungsverhalten Probleme in Aufmerksamkeit und Wahrnehmung Probleme im Umgang mit Gefühlen |
Verhaltensstörungen
Die Relativität des Begriffs Verhaltensstörungen und seiner Synonymbegriffe hat weitreichende Folgen für die Diagnostik. Eine Strategie kann darin bestehen, nicht etwa zu untersuchen, wer verhaltensgestört ist, sondern bewusst nur zu erheben, wer als verhaltensgestört betrachtet wird. Ein wichtiges Instrument ist hier die Child Behaviour Checklist. Das ist das Instrument, das normalerweise eingesetzt wird, wenn Kinder und Jugendliche in die Psychiatrie kommen. Hat einige gravierende Schwächen, aber auch Stärken. Und es ist wirklich sehr verbreitet.
Die Child Behavior Checklist
Fünfte Sitzung: Entwicklungspsychologische Grundlagen
Menschen mit Verhaltensstörungen haben häufig ein Problem damit, die Intentionen von anderen zu verstehen bzw. sich in andere hineinzuversetzen. Der Fachbegriff für diese sozialkognitive Kompetenz lautet Perspektivenübernahme (bei Piaget und seinen Nachfolgern) oder auch Role taking (in Orientierung an Mead) oder Theory of Mind.
Perspektivenübernahme, Role taking, Theory of Mind


Entwicklung der Perspektivenübernahme (aus Selman 1982, 240 f) Selman, R.: Sozial-kognitives Verständnis – Ein Weg zu pädagogischer und klinischer Praxis. In: Geulen, D. (Hrsg.): 1982, Perspektivenübernahme und soziales Handeln, Frankfurt a. M. 223-256 |
Stufe 0: Egozentrische Perspektive (Alter 3-6 Jahre) Das Kind nimmt zwar den Unterschied zwischen sich und anderen wahr, unterscheidet aber noch nicht zwischen seiner sozialen Perspektive (Gedanken und Gefühle) und der der anderen. Es kann von anderen offen gezeigte Gefühle benennen, aber sieht noch nicht den kausalen Zusammenhang zwischen Handlungsgründen und Handlungen. Stufe 1: Sozial-informationsbezogene Perspektivenübernahme (6-8 Jahre) Das Kind nimmt wahr, dass der andere eine eigene, in seinem Denken begründete Perspektive hat und dass diese seiner eigenen Perspektive ähnlich oder auch nicht ähnlich sein kann. Jedoch kann sich das Kind nur auf jeweils eine Perspektive konzentrieren und nicht verschiedene Gesichtspunkte koordinieren. Stufe 2: Selbstreflexive Perspektivenübernahme (8-10 Jahre) Dem Kind ist bewusst, dass jedes Individuum der Perspektive des anderen gegenwärtig ist und dass dies jeweils die Sicht seiner selbst wie die vom anderen beeinflusst. Eine Möglichkeit, die Intentionen, Absichten und Handlungen eines anderen zu beurteilen, besteht darin, sich an seine Stelle zu versetzen. Das Kind kann eine koordinierte Kette von Perspektiven bilden, aber noch nicht von diesem Prozess auf die Ebene simultaner Gegenseitigkeit abstrahieren. Stufe 3: Wechselseitige Perspektivenübernahme (10-12 Jahre) Das Kind nimmt wahr, dass sowohl es selbst wie auch der andere den jeweils anderen Teil wechselseitig und gleichzeitig als Subjekt sehen kann. Es kann aus der Zwei-Personen-Interaktion heraustreten und diese aus der Perspektive einer dritten Person betrachten. Stufe 4: Perspektivenübernahme mit dem sozialen und konventionellen System (12-15 Jahre und älter) Die Person sieht, daß wechselseitige Perspektivenübernahme nicht immer zum völligen Verstehen führt. Soziale Konventionen werden als notwendig angesehen, weil sie von allen Mitgliedern der Gruppe (dem generalisierten Anderen) unabhängig von ihrer Position, Rolle oder Erfahrung verstanden werden. |
Stufen des moralischen Urteils Kohlberg, L.: Stufe und Sequenz: Sozialisation unter dem Aspekt der Kognitiven Entwicklung. In: Kohlberg, L.: Zur kognitiven Entwicklung des Kinders. Frankfurt a. M. 1974, 60 f |
Stufe 1: Orientierung an Bestrafung und Gehorsam. Egozentrischer Respekt vor überlegener Macht oder Prestigestellung bzw. Vermeidung von Schwierigkeiten. Objektive Verantwortlichkeit. Stufe 2: Naiv egoistische Orientierung. Richtiges Handeln ist nur jenes, das die Bedürfnisse des Ich und gelegentlich die der anderen instrumentell befriedigt. Bewusstsein für die Relativität des Wertes der Bedürfnisse und der Perspektive aller Beteiligten. Naiver Egalitarismus und Orientierung an Austausch und Reziprozität. Stufe 3: Orientierung am Ideal des ´guten Jungen´ . Bemüht, Beifall zu erhalten und anderen zu gefallen und ihnen zu helfen. Konformität mit stereotypischen Vorstellungen von natürlichem oder Mehrheitsverhalten, Beurteilung aufgrund von Intentionen. Stufe 4: Orientierung an Aufrechterhaltung von Autorität und sozialer Ordnung. Bestrebt, >seine Pflicht zu tun< , Respekt vor der Autorität zu zeigen und die soziale Ordnung um ihrer selbst willen einzuhalten. Rücksicht auf die Erwartungen anderer. Stufe 5: Legalistische Vertrags-Orientierung. Anerkennung einer willkürlichen Komponente oder Basis von Regeln und Erwartungen als Ausgangspunkt der Übereinstimmung. Pflicht definiert als Vertrag, allgemein Vermeidung der Verletzung von Absichten oder Rechten anderer sowie Wille und Wohl der Mehrheit. Stufe 6: Orientierung an Gewissen oder Prinzipien. Orientierung nicht nur an zugewiesenen Rollen, sondern auch an Prinzipien der Entscheidung, die an logische Universalien und Konsistenz appellieren. Orientierung am Gewissen als leitendes Agens und an gegenseitigem Respekt und Vertrauen. |
Tabelle 61 Positionen von George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft (zuerst englisch 1934) |
Mead untersucht u.a. Interaktion und Verstehen unter Menschen. Bekannt geworden ist Geist, Identität und Gesellschaft vor allem durch seine Thesen zur Identität und zum Fremdverstehen. Grundgedanke ist die Überlegung, dass Identität entsteht, indem man sich aus der Perspektive anderer wahrnimmt. Diesen Mechanismus nennt Mead „role-taking“, ein Konzept, das später von Piaget und Nachfolgern wieder aufgegriffen wird und in heutigen Zusamenhängen unter dem Begriff theory of mind diskutiert wird. Role-Tanking funktioniert bei Mead nicht nur in Bezug auf konkrete andere. Sondern Menschen können sich selbst auch aus der Perspektive von sozialen Gruppen wahrnehmen oder noch allgemeiner aus der Perspektive des „Verallgemeinerten anderen“. Identität umfasst dabei einerseits die tatsächlich gesprochenen Worte und Emotionen (Mead bezeichnet diesen Teil der Identität als „I“) und andererseits die organsierte Gruppe anderer (Mead prägt hierfür den Begriff „me“). |
Sechste Sitzung: Armut
Die sechste Sitzung befasst sich mit dem Thema Armut. Wer in der stationären Erziehungshilfe arbeitet, weiß ziemlich schnell, dass in den Heimen Deutschlands eine besondere Klientel lebt. Es sind nicht etwa Kinder aller Schichten, die ihre Eltern verloren haben. Sondern es handelt sich in erheblichen Anteilen um Kinder aus von Armut betroffene Familien. Es ist also sinnvoll, darüber nachzudenken, was Armut ist und welche Rolle Sozialarbeiter*innen zukommt, wenn Sie mit diesen Kinder, Jugendlichen und Familien arbeiten wollen.
Den Anfang macht eine kleine Übung. Dann folgt eine Auseinandersetzung mit einigen theoretischen Modellen.
Was ist Armut?
Tab 30: Modell der schichtenspezifischen Sozialisation nach Geulen (1991) |
Das Modell der schichtenspezifischen Sozialisation geht davon aus, dass „ aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen der Väter am Arbeitsplatz, die familiale Sozialisation in der sozialen Unterschicht in mehrfacher Hinsicht (…) anders verlaufe und zu anderen Ergebnissen führe als in der Mittelschicht, daß daher die Kinder aus der Unterschicht in dem durch Mittelschichtskultur dominierten Schul- und Bildungssystem auf größere Schwierigkeiten stoßen und stärker ausselegiert würden, daß sie später wieder nur in der Unterschicht zugänglichen Berufspositionen einrücken könnten .“ |
Tab 32: Theorie des sozialen und kulturellen Kapitals (Bourdieu 1979) |
Klassen werden weder über ein Merkmal oder die Summe von Merkmalen definiert (Alter, Geschlecht, soziale Herkunft, Einkommen, Ausbildungsniveau) noch durch eine Kette von Merkmalen, die von einem Hauptmerkmal (z. B. von der Stellung im Produktionsprozess) abgeleitet sind. Definition sozialer Klassen als Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen, die jeder derselben … verleiht Klassenzugehörigkeit ist mit einem Bündel ungefähr gleich wahrscheinlicher ungefähr gleichwertiger Lebensläufe verbunden. Wichtig sind: ökonomisches Kapital (neben Durchschnittseinkommen auch Konsum-Indices wie Auto und Bootsbesitz oder Urlaub im Hotel), kulturelles Kapital (mit Indikatoren wie: Häufigkeit der Lektüre nicht berufsbezogener Literatur, Häufigkeit von Theaterbesuch, Nicht-Besitz eines Fernsehers usw.) und soziales Kapital. Der Konsum vor allem solcher Güter, die ein der bürgerliche Lebensart konformes Verhalten symbolisieren lässt, garantiert ein soziales Kapital, ein Kapital an ´mondänen Beziehungen´, die bei Bedarf einen nützlichen Rückhalt bieten, ein Kapital an Ehrbarkeit und Ansehen verleihen |
Armut
Was ist Lernbehinderung?
Tab 31: Lernbehinderung als soziokulturelle Benachteiligung (Begemann 1970)
zumindest partielle Gleichsetzung von Lernbehinderung und Schichtzugehörigkeit bei Begemann als These, daß Hilfsschüler bis auf eine Minderheit der armen, proletarischen, sozial rückständigen Unterschicht entstammen.
Schulversagen als Versagen an Mittelschichtsstandards: Hilfsschüler sind unterdurchschnittlich gemessen an den Normen der Mittelschicht. Sie sind soziokulturell benachteiligt.
Mittelschichtslastigkeit von Intelligenztestverfahren
Resümee: Hilfsschulbedürftigkeit kann nicht mit psychologischen, soziologischen oder medizinischen Kategorien beschrieben werden, sondern nur als pädagogische Aufgabe Die Sozialisationsbedingungen von Hilfsschülern: Gefühle der Unterlegenheit, Ausgeliefertheit, Benachteiligung, geringe Bildungsmotivation, Unterschichtsmatriarchat, Familismus (Verkehrskreis beschränkt auf Verwandte und Nachbarn), niedriger Wohnkomfort in unzureichenden Wohnungen, viele Kinder, autoritärer Erziehungsstil, wenig Gelegenheiten zum produktiven Tun, Schülercliquen, die die Schichtgrenzen kaum überschreiten.
Sprachliche Benachteiligung (in Anlehnung an Bernstein)
lrstab5: LRS und Lernbehinderung | |
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LRS | Lernbehinderung |
schwerwiegende, umfängliche & lang andauernde Probleme im Lesen/Rechtschreiben | schwerwiegende, umfängliche & lang andauernde Probleme im Lesen/Rechtschreiben |
Entwicklung des mathematischen Denkens normal | schwerwiegende, umfängliche & lang andauernde Probleme in der Entwicklung des mathematischen Denkens |
Jungen häufiger betroffen | Jungen häufiger betroffen |
Verhaltensprobleme häufiger als bei nicht LRS-Kindern | schwerwiegende Verhaltensprobleme bei etwa einem Drittel aller Förderschüler |
soziale Herkunft de fakto häufig nicht soziale Unterschicht (Mittelschichtskinder mit Problemen im Lesen und Schreiben werden häufig als LRS-Kinder eingestuft, aber nur eine kleine Minderheit aller Mittelschichtskinder hat Probleme im Lesen und Schreiben) | soziale Herkunft de fakto ganz überwiegend soziale Unterschicht (Überwiegende Mehrheit der Förderschüler stammt aus sozialer Unterschicht, aber: nur eine kleine Minderheit aller Unterschichtskinder besucht die Förderschule Lernen) |
Diskrepanz zwischen IQ & Lese/Rechtschreibentwicklung (bei Anwendung traditioneller diagn. Kriterien) | IQ stark unterdurchschnittlich (bei Anwendung traditioneller diagn. Kriterien) und zugleich schwerwiegende, umfängliche & lang andauernde Schulleistungsprobleme) |
Verursachung unklar (multikausales Modell mit pädagogischen Faktoren, sozialen Faktoren & genetischen Faktoren), kein Nachweis einer besonderen, d. h. von der Entstehung von LB abweichenden Genese | Verursachung unklar (multikausales Modell mit pädagogischen Faktoren, sozialen Faktoren & möglicherweise auch genetischen Faktoren), kein Nachweis einer besonderen, d. h. von der Entstehung von LRS abweichenden Genese |
keine besonderen, d. h. von Fehlern von LB-Kindern abweichende Fehlermerkmale | keine besonderen, d. h. von Fehlern von LRS-Kindern abweichende Fehlermerkmale |
einziges diagnostisches Instrument mit Vorhersagekraft im Vorschulbereich: Testverfahren zur Überprüfung der phonolog. Bewusstheit | einziges diagnostisches Instrument mit Vorhersagekraft im Vorschulbereich: Testverfahren zur Überprüfung der phonolog. Bewusstheit & soziale Indikatoren |
keine besonderen, d.h. nur bei LRS-Kindern wirksamen Fördermethoden | keine besonderen, d.h. nur bei LB-Kindern wirksamen Fördermethoden |
Erleichterungen in der Schule, aber keine Schullaufbahneinschränkungen, keine formalen Hindernisse auf dem Arbeitsmarkt | besonderer Verlauf der Schule, i. d. R. kein Hauptschulabschluss, erhebliche Probleme auf dem Arbeitsmarkt |
Therapie erfolgt i. d. R. ambulant & außerschulisch (Finanzierung über Jugendamt & Eltern, große regionale Unterschiede). Anbieter sind: niedergelassende Psychologen, Heilpädagogen, Ergotherapeuten, Legasthenieinstitute | Förderung erfolgt überwiegend in Sonderschulen & bei etwa 13 % der Schüler in integrativen Settings. I. d. R. keine über das Jugendamt finanzierte Therapie |
Störungsbilder mit Auswirkungen auf das Lesen und Schreiben
Siebte Sitzung (Online-Sitzung 28.5.)
Die siebte Sitzung greift noch einmal den Fall Florian auf, den Sie ja bereits in der fünften Sitzung kennengelernt haben. Ich denke, dass dieser Fall sich gut eignet, um in die psychoanalytische Pädagogik einzuführen. Denn das Problem besteht ja keineswegs darin, dass Florian nicht wüsste, welche Regeln in Familie und Schule gelten. Unter der angepasste Oberfläche finden sich erhebliche zerstörerische Impulse, die Florian ganz offensichtlich nicht unter Kontrolle bringen kann oder will.
Psychoanalytische Konzepte


Aufgaben psychoanalytischer Pädagogik nach Heinemann 1995
Heinemann, E, Rauchfleisch, U. & Grüttner, T (1995). Gewalttätige Kinder. Frankfurt (a.M.)
Was ist Ihre Aufgabe? Bitte versuchen Sie erstens zu entscheiden, ob sonderpädagogischer Förderbedarf vorliegt und ob Florian inklusive oder in der Förderschule gefördert werden sollte. Überlegen Sie zweitens, wie die konkreten Förderangebote in der Arbeit mit Florian aussehen könnten.
Bitte teilen Sie mir Ihre Einschätzungen per Mail mit. Wenn Sie möchten, dass diese Einschätzung auf der Homepage veröffentlicht wird, nennen Sie bitte einen Nickname.
Achte Sitzung
Die achte Sitzung befasst sich noch einmal abschließend mit dem Fall Florian. Zweiter Schwerpunkt sind die Beziehungen zwischen traumatischen Ereignissen und einigen einschlägigen Störungsbildern. Welche Folgen traumatische Ereignisse haben, hängt nämlich von vielen Faktoren ab. Es ist also nicht etwa so, dass eine Traumatisierung direkt und zwangsläufig zu einer PTBS führt. Und leider muss man auch bei diesem Thema zwischen seriösen und wenig seriösen therapeutischen bzw. pädagogischen Angeboten unterscheiden. Manche Interventionen sind nachweislich hilfreich. Andere sind wirkungslos oder können sogar großen Schaden anrichten. Und wer mit Menschen zu tun hat, die traumatischen Ereignissen ausgesetzt waren (also u.a. auch Sozialarbeiter*innen), sollte unbedingt seriös von potentiell gefährlich unterscheiden können.
Hier ein Beitrag aus meinem Fundus:
Trauma und Traumafolgen
Einen guten (weil wenig von Pharmaindustrie beeinflussten Überblick über den Stand der Forschung geben Cochrane Reviews (Pubmed.ncbi, 20240620, Suchbegriffe: PTSD und Cochrane).
Traumatypen (Rosner & Unterhitzenberger 2019) |
Typ I Trauma: unvorhergesehen, einmalig Typ II Trauma: wiederholte Ereignisse, die ggf. Vorhersehbar sind Interpersonelle Traumata: von Menschen gemacht – andere traumatische Ereignisse (z. B. Naturkatastrophen) Mehrmalige, von Menschen gemachte Traumatisierungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit eine PTBS zu entwickeln. |
PTSD nach DSM V (Williams et al 2022) |
A: Exposed to a catastrophic event involving actual or threatened death or injury, or a threat to the physical integrity of him/herself or others B: Symtoms like panic, terror, dread (grauen), grief (Trauer), or despair manifest during the daytime as intrusive (aufdringliche) images, traumatic nightmares, and flashbacks C: Behavioural strategies used by people with PTSD to reduce trauma-related events D: Negative cognitions and moods that have developed after exposure to the traumatic event (i.e. blame, anger, guilt, or shame E: Alterationsin arousal (Veränderungen im Erregungsniveau) or reactivity (Reaktionsvermögen) such as hypervigilance or paranoia. F: Symptoms must persist for at least one month before PTSD may be diagnosed G: Survivor must experience significant social, occupational, or other distress as a result of these symptoms H: These symptoms cannot be due to medication use, substance use, or other illnesses National Comorbidity Survey Replication indicate lifetime PTSD prevalence rates of 3.6% and 9.7%, among men and women in the USA |
Behandlung von Kinder und Erwachsenen, die einem Trauma ausgesetzt waren (Gilles et al 2016) |
CBT was found to be no more or less effective than EMDR. Scores for PTSD symptoms were not significantly different when CBT was compared with EMDR We identified no trials that compared psychological therapies versus pharmacological therapies. CBT versus psychodynamic therapy The one study that compared CBT versus psychodynamic therapy reported only short-term outcomes. PTSD symptom scores were not significantly different between groups (SMD 0.21, 95% CI -0.56 to 0.98; 26 participants; pharmacological therapies : No trials that compared psychological therapies versus pharmacological therapies. |
Neunte Sitzung (Online-Sitzung; 11.6.)
In der neunten Sitzung möchte ich Ihnen einen neuen Fall vorstellen, der in gewisser Weise wieder eine Beziehung zum Thema Traumafolgen hat. Der Fall ist wieder in einem solchen Maße brisant, dass ich eine Veröffentlichung auf der Homepage nicht realisieren kann. Wenn Sie mich aber über Ihre EvH E-Mail-Adresse bitten, Ihnen das betreffende Dokument zukommen zu lassen, sende ich Ihnen dieses unter der Bedingung der Vertraulichkeit zu. Selbstverständlich verfüge ich auch über die Urheberrechte. Sie dürfen dieses Dokument also ohne mein schriftliches Einverständnis unter keinen Umständen in anderen Zusammenhängen verwenden oder gar veröffentlichen.
Das Dokument enthält auch die Fragen zum Fall. Wenn Sie mögen, können Sie mir Ihre Antwort per Mail zukommen lassen. Während der eigentlich vorgesehenen Seminarzeiten (Mi 8.30 -10.00) gebe ich auch gerne eine Rückmeldung.
Zehnte Sitzung
Die zehnte Sitzung befasst sich mit Förderzielen und Förderangeboten am Beispiel einer Lerngruppe einer Förderschule ese. Die Inhalte sind wieder derart vertraulich, dass eine Veröffentlichung auf meiner Homepage nicht möglich sind.
Elfte Sitzung (23.6.)
In der elften Sitzung erkläre ich, was für das Portfolio zu beachten ist. U.a. stelle ich auch ausführlich die Teilleistung Literaturrecherche vor. Wesentlich ist hier: Sie müssen die Literatur weder noch beschaffen. Sondern Sie stellen eine Literaturliste zusammen, die Sie lesen würden, würden Sie eine Hausarbeit zur von Ihnen gewählten Fragestellung schreiben.
Wichtig: Sie sollten Literatur aus Fachdatenbanken verwenden, also keine Literatur aus anderen Quellen. Sie sollten Angaben zu Suchdatum, Fachdatenbank, Suchbegriffen, Trefferzahlen (je nach Filter) machen. Und Sie sollten nachvollziehbare Auswahlkriterien entwickeln.
Fachdatenbankrecherche
Bitte beachten Sie, dass die Sitzung vom 2.7. aufgrund einer Studiengangskonferenz leider entfallen muss. Die elfte Sitzung ist also die letzte Sitzung des Seminars „Verhaltensstörung, Trauma, Gewalt“-