Norm und Abweichung

Diese Veranstaltung richtet sich an Studierende des MA Studiengangs SIGB (Modul 2). Sie ist als Präsenzveranstaltung mit weniger als 25 % Online- Anteilen konzipiert. Es ist möglich, Ihre modulabschließende Prüfung bei mir anzumelden. Weil es ziemlich schwierig ist, ein Referat innerhalb dieses kurzen Zeitraums vorzubereiten und durchzuführen, besteht die Option, die Referate in den anderen Veranstaltungen meines Lehrangebots anzubieten – wenn Sie wollen auch als Podcast.

Die unten aufgeführten inhaltlichen Schwerpunkte verstehen Sie bitte als Vorschlag. Das tatsächliche Seminarprogramm und die präzise Zeitplanung wird zu Beginn der Veranstaltung verbindlich festgelegt.

Kommentar aus dem Vorlesungsverzeichnis

Dass es gut ist, normal zu sein, lernen die meisten Kinder schon sehr früh. Dennoch bildet sich in den allermeisten Gesellschaften ein Leben am Rande der Normalität oder auch außerhalb der Normalität. Die Veranstaltung macht bekannt mit klassischen Konzepten, die sich mit Abweichung befassen. Sie lädt dazu ein, sich in einer Recherche exemplarisch mit einer solchen Gruppe (nach Wahl) etwas intensiver auseinanderzusetzen. 

Das Seminar ist als Blockveranstaltung in der Blockwoche konzipiert (22. bis 24.4.). Als Sozialformen sind geplant: Plenumsphasen, Einzelarbeit und Gruppenarbeit. Dabei können Sie je nach Wunsch individuelle Schwerpunkte setzen.

Seminarplan

Das Seminar findet in Präsenz statt. Wie in allen meinen Seminaren finden Sie aber auch zum Seminarprogramm passende Podcasts aus den vorangehenden Semestern. In Teilen stammen diese Podcasts aus anderen Seminaren und auch aus anderen Studiengängen. Sie werden aber merken, dass dies inhaltlich nicht allzu viel ausmacht. Die in manchen Podcasts formulierten Aufgaben müssen Sie nicht bearbeiten. Sie müssen auch keine eigenen Beiträge oder Kommentare formulieren.

Die Funktion dieser Podcasts besteht darin, Ihnen die Option zu geben, Seminarteile nachzuarbeiten, wenn Sie z. B. erkrankt sein sollten. Es ist zudem wahrscheinlich, dass nicht alle Inhalte in der Präsenzphase angemessen behandeln können. Was wir nicht in Präsenz schaffen, kann also im Selbststudium erarbeitet werden.

Montag

1. Wissenschaftstheorie

  • Lektüre / Präsentation: Popper
  • oder Lektüre / Präsensentation: Kuhn
  • oder Lektüre / Präsentation: Feyerabend
  • Auswertung: Welches Wissenschaftsverständnis mir wichtig ist
Wissenschaftstheorie für die Quantitative Forschung

2. Entwicklung von Projektideen zum Thema Soziale Inklusion, Gesundheit und Bildung

  • Arbeitsgruppenphase: Vorschläge erarbeiten für ein mögliches Forschungsprojekt
  • Datenbankrecherche vor Ort: Stand der Forschung zur Forschungsfrage, Erstellung einer Literaturliste

3. Know How Update (für die Studierenden, die hier noch einmal eine Auffrischung benötigen)

  • Datenbankrecherche
  • Literaturbeschaffung
  • Bewertungsmaßstäbe für empirische Studien 

Literaturrecherche

Studien bewerten

Dienstag

1. ggf. Literaturbeschaffung in Bibs der Region

2. Plenum: Zwischenbericht Arbeitsgruppen

3. Normale und nicht Normale

Stigma und Etikettierung
  • Vortrag: Stigma & Etikettierung
  • Auswertung/Diskussion: Was ich von den Außenseitern will

4. Zweite Arbeitsgruppenphase: Projektideen

5. Soziale Ungleichheit

  • Vortrag: Marx
Karl Marx und sein Beitrag zu Theorien der sozialen Ungleichheit

  • Vortrag: Bourdieu
Armut und soziale Ungleichheit
  • Auswertung/Diskussion: Was ich von den Armen will 

Mittwoch

1. Integration und Inklusion

  • Vortrag Einführung in die Integrationspädagogik / Inklusionspädagogik
Integration und Inklusion
Inklusionsforschung

  • Recherche: Was geschieht im deutschen Schulsystem im Rahmen der Umgestaltung in Richtung „inklusiver“ Schule?
  • Auswertung/Diskussion: Was ich von Inklusion halte

3. Dritte Arbeitsgruppenphase: Vorbereitung von Kurzpräsentationen 

4. Präsentationen der Arbeitsgruppen

5. Familienklassen in Bochum

6. Wortschatz und Buchbesitz als Lese/Schreibprädikatoren für bilinguale Schüler/innen

Materialien

Tab 60: Symbolischer Interaktionismus
Die Rezeption des Symbolischen Interaktionismus beginnt in der BRD in den 70er Jahren, also in einer Phase, in der marxistische Positionen in ihrer Bedeutung abnehmen.
Wichtige Vertreter sind Herbert Blumer und Erving Goffman.
Viele Autor/*innen des S.I. berufen sich zudem auf George Herbert Mead.
Der S.I. spielt in der Sozialen Arbeit bzw. in behindertenpädagogischen Disziplinen eine wichtige Rolle für das Verständnis und die Kritik von Sondereinrichtungen bzw. er hat einige Bedeutung in der frühen Psychiatriekritik.
Der S.I. wird u.a. auch deshalb zur wichtigen Bezugstheorie der neu entstehenden Integrationspädagogik, weil man glaubt, durch einen frühen und positiv besetzten Kontakt Stigmatisierungsvorgänge vermeiden zu können. 
Der S.I. hat vor allem in den 70er und 80er Jahren einigen Einfluss auf die wissenschaftliche Diskussion und Forschung genommen. Heute ist der Einfluss nur noch gering. 


Tab 62: Blumer, Der methodologische Standort des S. I.
drei Prämissen:
1. Menschen handeln Dingen gegenüber auf der Grundlage von Bedeutungen, die diese Dinge für sie besitzen
2. Die Bedeutung der Dinge geht aus sozialer Interaktion hervor.
3. Bedeutungen ergeben sich für eine Person durch die Art und Weise, in der andere Menschen ihr gegenüber in Bezug auf dieses Ding handeln. Bedeutungen sind also soziale Produkte.
Tabelle 61 Positionen von George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft (zuerst englisch 1934)
Mead untersucht u.a. Interaktion und Verstehen unter Menschen.
Bekannt geworden ist Geist, Identität und Gesellschaft vor allem durch seine Thesen zur Identität und zum Fremdverstehen. 
Grundgedanke ist die Überlegung, dass Identität entsteht, indem man sich aus der Perspektive anderer wahrnimmt.
Diesen Mechanismus nennt Mead „role-taking“, ein Konzept, das später von Piaget und Nachfolgern wieder aufgegriffen wird und in heutigen Zusamenhängen unter dem Begriff theory of mind diskutiert wird.
Role-Tanking funktioniert bei Mead nicht nur in Bezug auf konkrete andere. Sondern Menschen können sich selbst auch aus der Perspektive von sozialen Gruppen wahrnehmen oder noch allgemeiner aus der Perspektive des „Verallgemeinerten anderen“.
Identität umfasst dabei einerseits die tatsächlich gesprochenen Worte und Emotionen (Mead bezeichnet diesen Teil der Identität als „I“) und andererseits die organsierte Gruppe anderer (Mead prägt hierfür den Begriff „me“).
Tab 4: Identität & Stigma nach Goffman (1962)
virtuale soziale Identität als das, was andere von uns erwarten aktuale soziale Identität als das, was wir wirklich sind 

Stigmatisierung als Diskrepanz zwischen aktualer & virtualer sozialer Identität (bei diskreditierenden Erwartungen anderer) 

3 Arten von Stigmata: Abscheulichkeiten des Körpers, individuelle Charakterfehler, phylogenetische Stigmata (Rasse, Nation, Religion) 
Tab 5: Auswirkungen des Stigmas auf die Interaktion nach Goffman (1962)
Stimatisierte
unsicher, weil sie spüren, dass das Stigma wahrgenommen wird 
Gefühl nicht zu wissen, was andere denken 
defensives Sichverkriechen oder feindselige Kontakte 
Normale
Antizipation der Probleme 
so tun, als gebe es das Stigma nicht 
so tun, als sei der Stigmatisierte ein Niemand 
Tab 59: Howard S. Becker (1963)
Abweichendes Verhalten setzt Regeln voraus, deren Verletzung abweichendes Verhalten konstituiert.
Diese Regeln werden durchgesetzt, wenn die Durchsetzer darin einen Vorteil sehen.
Die Durchsetzung/ das Aufzwingen von diesen Regeln basiert auf Macht und Stellung.
Etikettierung umfasst als Prozesseinen Verstoß gegen eine Regel
die (öffentliche) Definition dieses Regelverstoßes als abweichendes Verhaltendie Chancenreduzierung des Etikettierten
die Übernahme der Fremddefinition
als Folge: eine deviante Karriere

Tab 30: Modell der schichtenspezifischen Sozialisation nach Geulen (1991)
Das Modell der schichtenspezifischen Sozialisation geht davon aus, dass „ aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen der Väter am Arbeitsplatz, die familiale Sozialisation in der sozialen Unterschicht in mehrfacher Hinsicht (…) anders verlaufe und zu anderen Ergebnissen führe als in der Mittelschicht, daß daher die Kinder aus der Unterschicht in dem durch Mittelschichtskultur dominierten Schul- und Bildungssystem auf größere Schwierigkeiten stoßen und stärker ausselegiert würden, daß sie später wieder nur in der Unterschicht zugänglichen Berufspositionen einrücken könnten .“ 
Tab 31: Lernbehinderung als soziokulturelle Benachteiligung (Begemann 1970)
zumindest partielle Gleichsetzung von Lernbehinderung und Schichtzugehörigkeit bei Begemann als These, daß Hilfsschüler bis auf eine Minderheit der armen, proletarischen, sozial rückständigen Unterschicht entstammen.
Schulversagen als Versagen an Mittelschichtsstandards: Hilfsschüler sind unterdurchschnittlich gemessen an den Normen der Mittelschicht. Sie sind soziokulturell benachteiligt.
Mittelschichtslastigkeit von Intelligenztestverfahren
Resümee: Hilfsschulbedürftigkeit kann nicht mit psychologischen, soziologischen oder medizinischen Kategorien beschrieben werden, sondern nur als pädagogische Aufgabe Die Sozialisationsbedingungen von Hilfsschülern: Gefühle der Unterlegenheit, Ausgeliefertheit, Benachteiligung, geringe Bildungsmotivation, Unterschichtsmatriarchat, Familismus (Verkehrskreis beschränkt auf Verwandte und Nachbarn), niedriger Wohnkomfort in unzureichenden Wohnungen, viele Kinder, autoritärer Erziehungsstil, wenig Gelegenheiten zum produktiven Tun, Schülercliquen, die die Schichtgrenzen kaum überschreiten.
Sprachliche Benachteiligung (in Anlehnung an Bernstein) 
Tab 32: Theorie des sozialen und kulturellen Kapitals (Bourdieu 1979)
Klassen werden weder über ein Merkmal oder die Summe von Merkmalen definiert (Alter, Geschlecht, soziale Herkunft, Einkommen, Ausbildungsniveau) noch durch eine Kette von Merkmalen, die von einem Hauptmerkmal (z. B. von der Stellung im Produktionsprozess) abgeleitet sind.
Definition sozialer Klassen als Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen, die jeder derselben … verleiht Klassenzugehörigkeit ist mit einem Bündel ungefähr gleich wahrscheinlicher ungefähr gleichwertiger Lebensläufe verbunden.
Wichtig sind: ökonomisches Kapital (neben Durchschnittseinkommen auch Konsum-Indices wie Auto und Bootsbesitz oder Urlaub im Hotel), kulturelles Kapital (mit Indikatoren wie: Häufigkeit der Lektüre nicht berufsbezogener Literatur, Häufigkeit von Theaterbesuch, Nicht-Besitz eines Fernsehers usw.) und soziales Kapital.
Der Konsum vor allem solcher Güter, die ein der bürgerliche Lebensart konformes Verhalten symbolisieren lässt, garantiert ein soziales Kapital, ein Kapital an ´mondänen Beziehungen´, die bei Bedarf einen nützlichen Rückhalt bieten, ein Kapital an Ehrbarkeit und Ansehen verleihen 


Tab 1:
 Feuser (1999) : Integrative Pädagogik ist eine Allgemeine Pädagogik, in der
alle Kinder in Kooperation miteinander 
auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau 
mittels ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen 
an und mit einem gemeinsamen Gegenstand 
spielen lernen und arbeiten 


Praxis der Inklusion und Integration Tab 18: Hinz, A.: Entwicklungswege zu einer Schule für alle mit Hilfe des Index für Inklusion. In: Z.f.H. 5/2004, 245-250
Praxis der IntegrationPraxis der Inklusion
Eingliederung von Kindern mit best. Bedarfen in die Allg.SchuleLeben und Lernen in der Allgemeinen Schule
Diff. System je nach SchädigungUmfassendes System für alle
Zwei Gruppen Theorie (mit / ohne sonderpäd. Förderbedarf)Theorie einer heterogenen Gruppe
Aufnahme von beh. KindernVeränd. d. Selbstverst. Schule
Individuumzentrierter AnsatzSystemischer Ansatz
Fixierung auf die inst. EbeneBeacht. d. em. soz. & unter. E. 
Ressourcen für K. mit Etikett.Ressourcen für Systeme
Individuelle Curricula f. EinzelneGem. & indivi. Lernen für alle
Förderpläne für beh. Kinderein individ. Curriculum für alle
Anliegen und Auftrag der Sonderpädagogik und SonderpädagoginnenGem. Planung & Reflexion aller Beteiligter, Anliegen & Auftrag der Schulp. & Schulpädagogen
Sonderpädagogik als Unterstützung für besondere KinderSonderpädagogik als Unterstützung von Klassen- lehrer, Klassen und Schulen
Ausweitung von Sonderpädagogik in die Schulen hineinVeränderung von Sonderpädagogik und Schulpädagogik
Kombination von (unveränd.) Schul- und SonderpädagogikSynthese von (veränderter) Schul- und Sonderpädagogik
Kontrolle durch ExpertinnenKoll. Problemlösen im Team

Abbildung 2: Behinderte Kinder in Regel und Förderschulen (Zahlen aus: STATISTISCHE VERÖFFENTLICHUNGEN DER KULTUSMINISTERKONFERENZ Dokumentation Nr. 217 – Januar 2019)
2000/2001
Regelschule
2000/2001
Förderschule
2016/2017
Förderschule
2016/2017
Regelschule
Deutschland0,7 %4,6 %4.3 %2,8 %
NRW0,4 %4,6 %4,6 %3,0 %
Bremen2,6 %4,1 %1,2 %5,9 %
Hamburg0,9 %4,9 %3,1 %5,7 %
Berlin1,6 %4,2%2,8 %4,8 %


Lehmann & Hoffmann (2009, 51) nach Tabelle 3.1.2 Vergleich der Fachleistungen Deutsch-Leseverständnis nach Schulformen
MittelwertStandard-abweichungFallzahlEffektstärke d
Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen99,0524,13058
Schulen mit gemeinsamen Unterricht97,1822,80592

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