Forschen über Inklusion

Es ist schon sinnvoll, sich als Heilpädagogik ein bisschen in Sachen Inklusionsforschung auszukennen. Diese Lehrveranstaltung führt deshalb am Beispiel der Inklusionsforschung in die Literaturrecherche und in Forschungsmethoden ein. Die exemplarische Fragestellung lautet: Wo sind Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Lernen besser aufgehoben: in der Förderschule oder in inklusiven Settings? Natürlich gibt es neben dem exemplarischen Schwerpunkt viele Gelegenheiten, eigenen Interessen nachzugehen. Und auch die Hausarbeit muss sich keineswegs mit dem Schwerpunkt Inklusion befassen.

Diese Seminar richtet sich an Studierende des Studiengangs BA Heilpädagogik.

Erste Sitzung

Die erste Sitzung dieses Seminars beginnt nach den üblichen Vorreden (Vorstellung des Seminarprogramms, Standards für Hausarbeiten) mit einem Planspiel. Die Teilnehmer*innen des Seminars werden gebeten sich vorzustellen, die Bundesbildungsministerin Karin Prien hätte in der EvH angerufen und darum gebeten, fünf Vorschläge zu entwickeln, wie die UN-Behindertenrechtskonvention auch in Deutschland möglichst schnell umgesetzt werden. Der Hintergrund: Die UN haben einen Sanktionsplan entwickelt, die alle Staaten mit einem Kaffee-Entzug in Einrichtungen der UN belegt, die die UN-Behindertenrechtskonvention noch nicht angemessen umgesetzt haben. Und Deutschland gehört offenbar zu diesen Staaten.


Zweite Sitzung: Integration und Inklusion

Das Seminar hat ja eine exemplarische Fragestellung. Letztlich geht es darum zu überprüfen, ob Kinder mit Lernbehinderungen in Förderschulen oder Inklusionschulen besser aufgehoben sind. Das macht es ziemlich sinnvoll, zunächst den Begriff Inklusion zu bestimmen, zu untersuchen, ob und in welcher Hinsicht sich dieser Begriff vom Vorgängerbegriff Integration unterscheidet und welche Fragestellung in der exemplarischen Recherche untersucht werden soll.

Integration und Inklusion


Tab 1:
 Feuser (1999) : Integrative Pädagogik ist eine Allgemeine Pädagogik, in der
alle Kinder 
in Kooperation miteinander 
auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau 
mittels ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen 
an und mit einem gemeinsamen Gegenstand 
spielen lernen und arbeiten 

Praxis der Inklusion und Integration Tab 18: Hinz, A.: Entwicklungswege zu einer Schule für alle mit Hilfe des Index für Inklusion. In: Z.f.H. 5/2004, 245-250
Praxis der IntegrationPraxis der Inklusion
Eingliederung von Kindern mit best. Bedarfen in die Allg.SchuleLeben und Lernen in der Allgemeinen Schule
Diff. System je nach SchädigungUmfassendes System für alle
Zwei Gruppen Theorie (mit / ohne sonderpäd. Förderbedarf)Theorie einer heterogenen Gruppe
Aufnahme von beh. KindernVeränd. d. Selbstverst. Schule
Individuumzentrierter AnsatzSystemischer Ansatz
Fixierung auf die inst. EbeneBeacht. d. em. soz. & unter. E. 
Ressourcen für K. mit Etikett.Ressourcen für Systeme
Individuelle Curricula f. EinzelneGem. & indivi. Lernen für alle
Förderpläne für beh. Kinderein individ. Curriculum für alle
Anliegen und Auftrag der Sonderpädagogik und SonderpädagoginnenGem. Planung & Reflexion aller Beteiligter, Anliegen & Auftrag der Schulp. & Schulpädagogen
Sonderpädagogik als Unterstützung für besondere KinderSonderpädagogik als Unterstützung von Klassen- lehrer, Klassen und Schulen
Ausweitung von Sonderpädagogik in die Schulen hineinVeränderung von Sonderpädagogik und Schulpädagogik
Kombination von (unveränd.) Schul- und SonderpädagogikSynthese von (veränderter) Schul- und Sonderpädagogik
Kontrolle durch ExpertinnenKoll. Problemlösen im Team
Abbildung 2: Behinderte Kinder in Regel und Förderschulen (Zahlen aus: STATISTISCHE VERÖFFENTLICHUNGEN DER KULTUSMINISTERKONFERENZ Dokumentation Nr. 217 – Januar 2019)
Regelschule
2000/2001
Förderschule
2000/2001
Förderschule
20016/2017
Regelschule
20016/17
Deutschland0,7 %4,6 %4.3 %2,8 %
NRW0,4 %4,6 %4,6 %3,0 %
Bremen2,6 %4,1 %1,2 %5,9 %
Hamburg0,9 %4,9 %3,1 %5,7 %
Berlin1,6 %4,2%2,8 %4,8 %

Dritte Sitzung: Falsch recherchieren

Viele Studierende nutzen Google oder auch andere Suchmaschinen, um sich einen Überblick über den Stand der Forschung zu verschaffen. Leider führt dieser Weg zu einseitigen und ziemlich häufig auch falschen Ergebnissen. Ein Grund für die Verzerrung liegt in der Individualisierung. Der Algorithmus stellt nämlich keine objektive Forschungsübersicht zusammen. Sondern Google entwickelt auf Basis früherer Einkäufe, Suchanfragen und Surfverhalten ein Bild von jeweiligen Nutzer und zeigt vorrangig Ergebnisse an, von denen es annimmt, das sie zum Nutzer passen. Ergebnis: Die jeweiligen Nutzer werden in ihren möglicherweise falschen Annahmen immer mehr bestätigt (Filterblaseneffekt). Und dies ist nicht das einzige Problem bei Google-Recherchen.

Auch die Strategie, sich über Bibliothekskataloge einen Überblick zu verschaffen, ist nicht der richtige Weg. Die meisten Bibliotheken sind nur in der Lage, einen kleinen Ausschnitt der Publikationen bereit zu stellen. Und manchmal ist dieser Ausschnitt auch noch in Richtung einiger besonderer Nutzervorlieben verzerrt. Die Lösung heißt natürlich nicht, auf die Nutzung jeglicher Bibliotheken zu verzichten. Sondern man sollte Bibliothekskataloge dafür nutzen, wofür sie eigentlich gedacht sind: Herausfinden, ob das gesuchte Buch oder die gesuchte Zeitschrift ausleihbar ist und herausfinden, wo die Literatur in der Bibliothek zu finden ist.

Falsch recherchieren

Vierte Sitzung

Die vierte Sitzung befasst sich zunächst mit dem Thema Fragestellungen von Hausarbeiten. Hier ein passender Podcast aus meinem Fundus:

Fragestellungen

Zweiter Schwerpunkt der Sitzung ist die Datenbankrecherche.

Datenbankrecherche

Was ist die Alternative zu Google- und Katalogrecherchen? Fachdatenbanken bieten einige wichtige Vorteile gegenüber einer Google-Recherche oder einer Katalog-Recherche in einer Bibliothek Ihrer Wahl:

(1) Sie stellen eine nachvollziehbare Auswahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu Ihrem Thema zur Verfügung, ohne dass ein Algorithmus unpassende Veröffentlichungen ausschließt.

(2) Sie werden nicht einseitig informiert – zumindest dann nicht, wenn sie Fachdatenbanken verwenden, die nur zu einer bestimmten Position informieren.

(3) Und der Anteil von gekaufter Wissenschaft oder unseriösen Positionen ist geringer.

Tab 2: Vorgehen bei der Literaturrecherche
1. Schritt: Frage entwickeln
2. Schritt: Geeignete Datenbank auswählen (z. B.: FIS-Bildung für Pädagogik/Heilpädagogik, bidok für Inklusion, Pubpsych für Psychologie, Pubmed und für Medizin (ggf. auf Cochrane Library com prüfen), Juris für Recht, Eric für Recherchen im Bereich Pädagogik und Psychologie in den USA)
3. Schritt: Mit geeigneten Suchbegriffen suchen
4. Treffer dokumentieren (mit Suchbegriffen &  Trefferzahl speichern)
5. geeignete Veröffentlichungen auswählen (gut geeignet für einen ersten Überblick: Handbuchaufsätze, Dissertationen, Metaanalyse, Überblicksbeiträge in Zeitschriften / selten geeignet: Kongressberichte, Festschriften)
6. Recherchieren, in welchen Bibliotheken nicht frei erhältliche Zeitschriften- oder Buchbeiträge
7. Bücher / Aufsätze beschaffen
8. Quellen bewerten (Hinweise auf Eignung bei Büchern: Publikation in seriösen/bekannten Verlag, erfolgreiches Durchlaufen eines Promotionsverfahrens, umfangreiche Verwendung von aktueller Literatur, faire und sachliche Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, Zitation durch andere Autoren / Hinweise auf Bedeutung von Zeitschriftenaufsätze: Publikation in Zeitschriften mit Gutachtersystem, Zitation durch andere Autoren)
9. Lesen – Zusammenfassen – in Beziehung setzen: Was sind wichtige Themen im Publikationsgebiet? Was ist strittig? Worüber besteht Konsens? Was ist gut erforscht? Wo bestehen Forschungslücken?
10. Ggf. im Internet ergänzend nach Online-Publikationen mit öffentlichem Auftraggeber, Zahlen von öffentlichen Institituonen (z. B. Statistisches Bundesamt/Landesamt, Ministerien o.ä.). Informationen von privaten Homepages, Homepages von Vereinen sind nur selten brauchbar. Lexika sind nur dann geeignet, wenn sie sich explizit an ein wissenschaftliches Publikum wenden.
Tab 3: Vorgehen bei der Datenbankrecherche
1. Was ist zu meinem Thema veröffentlicht (Datenbankrecherche)? Datenbank, Zugriffsdatum, Trefferzahlen und Auswahlstrategien dabei unbedingt präzise dokumentieren,
2. Inhaltlich passende Veröffentlichungen auswählen (z. B. nach Aktualität, Genre, bei empirischen Untersuchungen z. B. auch nach Stichprobenumfang usw) 
3. Bücher & Zeitschriftenbeiträge in Bibliotheken lokalisieren, ausleihen, kopieren oder digitalisieren

Schreibe einen Kommentar