Präsenzveranstaltung mit bis 25 % Online-Anteil
In der Jugendhilfe haben Sozialarbeiter*innen ziemlich häufig mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die sich nicht an Regeln halten. Sie sind aggressiv und laut. Sie haben Probleme in der Schule, sie machen Probleme in der Wohngruppe und sie haben Probleme mit der Polizei. Viele von ihnen sind traumatisiert. Diese Veranstaltung stellt die einschlägigen Störungsbilder vor und erläutert die wichtigsten theoretischen Konzepte. Sie erklärt, wie man in der diagnostischen Arbeit vorgeht. Und sie erklärt, was in der Psychotherapie für diese Kinder und Jugendlichen angeboten wird und welche Schlussfolgerungen hieraus für die pädagogische Praxis zu ziehen sind.
Diese Veranstaltung richtet sich an Studierende der Sozialen Arbeit im Modul 4.1
Erste Sitzung
In der ersten Sitzung informiere ich über den Aufbau des Seminars. Ich erkläre, welche Erwartungen ich habe, wenn Sie das Portfolio bei mir machen wollen. Und wir starten mit einem kleinen Planspiel: Die Teilnehmer*innen werden gebeten sich vorzustellen, die Bundesfamilienministerin hätte das Seminar darum gebeten, Maßnahmen zu entwickeln, die dafür sorgen, dass sich die Sylvester-Krawalle nicht wiederholen.

Zweite Sitzung
Die zweite Sitzung konfrontiert die Vorschläge des Seminars mit einer Analyse von Johannes Mand. Der Vortrag stellt fest, dass die wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen zu Problemen in den Familien insbesondere in sozialen Brennpunkten führt. Der Verlust von Heimat, das Verschwinden von Jobs für gering qualifizierte Menschen, die schädlichen Auswirkungen exzessiver Nutzung von digitalen Medien und die abnehmende Bedeutungen Kirchen führen zu Sinnstiftungsproblemen, die kaum mehr aufgefangen werden können.
Hier ein passender Podcast, in dem ich erkläre, welche gesellschaftlichen Veränderungen zu den Problemen führen:
Tab 1: Auswirkungen gesellschaftlichen Wandels auf Jugendliche in sozialen Brennpunkten |
---|
Krieg und Vertreibung Globalisierung Digitalisierung / Robotisierung Abnehmende Bedeutung von Religion Folge: Familien sind in Schwierigkeiten Familien von Geflüchteten unter Anpassungsdruck. Erwerbsarbeit wird für große Teile der Bevölkerung weninger wichtig. Sinnstifter verschwinden. Einsamkeit, Isolation und psychische Erkrankungen nehmen zu. Kinder sind durch Zugänglichkeit von Pornographie und Gewaltdarstellungen in Gefahr, Beziehungen werden durch leichte Zugänglichkeit von Tinder & co destabilisiert. |
Tabelle 2: Mögliche Strategien |
Bundespolitik / Europapolitik: Fluchtursachen reduzieren Bündnisse stärken Effektive Besteuerung und Kontrolle der digitalen Konzerne – Robotersteuer Landespolitik / Kommunalpolitik: Finanzierung eines gemeindewesenorientierten Umbaus des Ruhrgebiets: Rückbau von Industriebrachen und Betonwüsten, Wohnungsbau von Armen für Arme, Förderprogramme für Handwerk, Naturschutz & Kultur Therapeutische Hilfen ausbauen Anti-Gentrifizierungs & Anti-Ghetto-Politik Ausbau/Umbau des Bildungs- & Sozialwesens: Elitenförderung & Armenbildung, Partnerschaft & Familie und Digitale Bildung als Unterrichtsfach Soziale Arbeit: Empowerment für ein gutes Leben, Präventionsorientierung Erziehungsbegleitung, Erziehungshilfemittel nach Bedarf und nicht nach Finanzkraft bereit stellen, Demokratische Kontrolle der Erziehungshilfe |
Dritte Sitzung: Verhaltensstörungen
In der dritten Sitzung geht es um Verhaltensstörungen. Die Sitzung beginnt mit einer Übung. Ich stelle Ihnen diagnostische Informationen zu einigen Kindern zur Verfügung. Sie überlegen, welches dieser Kinder als verhaltensgestört einzustufen ist. Die Teilnehmer*innen entwickeln unterschiedliche Ansichten in dieser Frage. U. a. wird debattiert, welche Bedeutung der IQ hat (Antwort: Der IQ wird vor allem erhoben, um Verhaltensstörungen von anderen Störungsbildern abzugrenzen). Es fällt den Teilnehmer*innen einfacher, zu entscheiden, welche Kinder nicht verhaltensgestört sind. Letztlich gibt es keinen einzigen Fall, für denen die Teilnehmenden das Merkmal „verhaltensgestört“ für angemessen halten.
Das Seminar hat also ein wichtiges Merkmal des Begriffs „Verhaltensstörung“ entdeckt. Der Begriff ist relativ. Zwar gibt es einige Zeitgenossen, die den Begriff „verhaltensgestört“ so verwenden, als handele es sich um ein festes Persönlichkeitsmerkmal, für dessen Entstehung normalerweise die Eltern verantwortlich sind. Aber in der Frage, wer verhaltensgestört ist und wer nicht, gibt es unterschiedliche Meinungen. Verhalten, das 1990 als Merkmal auffälligen Verhaltens gegolten hat, kann heute normal sein. Verhaltensweisen die in Düsseldorf als Ausdruck schwerer Verhaltensstörungen gewertet werden, können in Gelsenkirchen mit Gleichmut hingenommen werden. Und natürlich gibt es auch unter Pädagogik*innen unterschiedliche Auffassungen darüber, wer nun als verhaltensgestört eingestuft werden sollte, und wer eher nicht.
Tab 6: Begriff Verhaltensstörungen: AO-SF § 5 (3) |
Erziehungsschwierigkeit liegt vor, wenn sich eine Schülerin oder ein Schüler der Erziehung so nachhaltig verschließt oder widersetzt, dass sie oder er im Unterricht nicht oder nicht hinreichend gefördert werden kann, und die eigene Entwicklung oder die der Mitschülerinnen und Mitschüler erheblich gestört oder gefährdet ist. |
Tab 7 Relativität von Verhaltensstörungen |
Verhaltensstörungen und ihre Synonymbegriffe sind relativ (Bach 1989). Sie sind eher das Ergebnis eines vergleichsweise komplexen Prozesses mit vielen Beteiligten als eine feste Eigenschaft (Mand 2003). Dies hat Auswirkungen auf die Zahlen und die Diagnose. |
Tab 8: Auswirkungen von Beobachtervariablen auf die Wahrnehmung auffälligen Verhaltens | |
Geschlecht | Houghton u.a. (1988), Kearny & Plax (1986), Kearny & Plax (1987), Mittelmark & Pirie (1988), Borg & Falzon (1989), vgl. Bach u.a. (1984), Mc Intyre (1988), Mand (2002 b), Baumgardt/Mand/Ostermann (2008) |
Alter, Berufserfahrung, Berufszufriedenheit des Lehrers | Tornow (1978), Bach (1987), Kearny & Plax (1986), Kearny u.a. (1987), Camp (1987), Mand (1995), Mand (2002 a) |
Pädagogische Arbeit | Wetzel (1978), Vaughn & Lancelotta (1986), Lochman u.a. (1987), Trovato u.a. (1992), Harris u.a. (1992), Fuchs u.a. (1989), Mand (1995) |
Tab 49: Lernbehinderungen, Verhaltensstörungen und einige ihrer Synonymbegriffe nach Mand 2003 | |
Verhaltensstörungen, Auffälliges Verhalten, Sopäd Förderbedarf im Bereich Em Soz | Lernbehinderung, Lernprobleme, Lernstörungen, Sopäd. Förderbedarf im Bereich Lernen |
Kernsymptome: Probleme in den Beziehungen zu Mitschüler/innen und Lehrer/innen Probleme im Arbeitsverhalten Probleme im Bewegungsverhalten Probleme in Aufmerksamkeit und Wahrnehmung Probleme im Umgang mit Gefühlen begleitende Symptome Probleme im Schriftspracherwerb Probleme in der Entwicklung mathematischen Denkens | Kernsymptome: Probleme im Schriftspracherwerb Probleme in der Entwicklung mathematischen Denkens begleitende Symptome Probleme in den Beziehungen zu Mitschüler/innen und Lehrer/innen Probleme im Arbeitsverhalten Probleme im Bewegungsverhalten Probleme in Aufmerksamkeit und Wahrnehmung Probleme im Umgang mit Gefühlen |
Verhaltensstörungen
Vierte Sitzung: Verhaltensstörungen Teil 2
Die vierte Sitzung hat zwei Schwerpunkte. Erster Schwerpunkt ist die Diagnose von Verhaltensstörungen. Hier stelle ich Ihnen einen sehr weit verbreiteten Fragebogen vor (die trf aus der Child Behaviour Checklist).
trf
Zweiter Schwerpunkt sind die Ursachen von Verhaltensstörungen. Na klar: Es gibt nicht nur eine Ursache, sondern viele Ursachen. Aber es macht Sinn, einige wichtige Konstellationen kennenzulernen. Und dies geschieht im Rahmen der zweiten Aufgabe der heutigen Sitzung. Ich stelle Ihnen einen Fall vor. Und Sie versuchen herauszufinden, wo das Problem liegt und welche Maßnahmen sinnvoll sind. Vielleicht erkennen Sie sogar Parallelen zu Tarek aus der Sitzung am 18.4.?
Der Fall Fischmaul
Die ersten Hypothesen des Seminars finden Sie hier:

Fünfte Sitzung: Entwicklungspsychologische Grundlagen
Menschen mit Verhaltensstörungen haben häufig ein Problem damit, die Intentionen von anderen zu verstehen bzw. sich in andere hineinzuversetzen. Der Fachbegriff für diese sozialkognitive Kompetenz lautet Perspektivenübernahme (bei Piaget und seinen Nachfolgern) oder auch Role taking (in Orientierung an Mead) oder Theory of Mind.
Perspektivenübernahme, Role taking, Theory of Mind


Entwicklung der Perspektivenübernahme (aus Selman 1982, 240 f) Selman, R.: Sozial-kognitives Verständnis – Ein Weg zu pädagogischer und klinischer Praxis. In: Geulen, D. (Hrsg.): 1982, Perspektivenübernahme und soziales Handeln, Frankfurt a. M. 223-256 |
Stufe 0: Egozentrische Perspektive (Alter 3-6 Jahre) Das Kind nimmt zwar den Unterschied zwischen sich und anderen wahr, unterscheidet aber noch nicht zwischen seiner sozialen Perspektive (Gedanken und Gefühle) und der der anderen. Es kann von anderen offen gezeigte Gefühle benennen, aber sieht noch nicht den kausalen Zusammenhang zwischen Handlungsgründen und Handlungen. Stufe 1: Sozial-informationsbezogene Perspektivenübernahme (6-8 Jahre) Das Kind nimmt wahr, dass der andere eine eigene, in seinem Denken begründete Perspektive hat und dass diese seiner eigenen Perspektive ähnlich oder auch nicht ähnlich sein kann. Jedoch kann sich das Kind nur auf jeweils eine Perspektive konzentrieren und nicht verschiedene Gesichtspunkte koordinieren. Stufe 2: Selbstreflexive Perspektivenübernahme (8-10 Jahre) Dem Kind ist bewusst, dass jedes Individuum der Perspektive des anderen gegenwärtig ist und dass dies jeweils die Sicht seiner selbst wie die vom anderen beeinflusst. Eine Möglichkeit, die Intentionen, Absichten und Handlungen eines anderen zu beurteilen, besteht darin, sich an seine Stelle zu versetzen. Das Kind kann eine koordinierte Kette von Perspektiven bilden, aber noch nicht von diesem Prozess auf die Ebene simultaner Gegenseitigkeit abstrahieren. Stufe 3: Wechselseitige Perspektivenübernahme (10-12 Jahre) Das Kind nimmt wahr, dass sowohl es selbst wie auch der andere den jeweils anderen Teil wechselseitig und gleichzeitig als Subjekt sehen kann. Es kann aus der Zwei-Personen-Interaktion heraustreten und diese aus der Perspektive einer dritten Person betrachten. Stufe 4: Perspektivenübernahme mit dem sozialen und konventionellen System (12-15 Jahre und älter) Die Person sieht, daß wechselseitige Perspektivenübernahme nicht immer zum völligen Verstehen führt. Soziale Konventionen werden als notwendig angesehen, weil sie von allen Mitgliedern der Gruppe (dem generalisierten Anderen) unabhängig von ihrer Position, Rolle oder Erfahrung verstanden werden. |
Stufen des moralischen Urteils Kohlberg, L.: Stufe und Sequenz: Sozialisation unter dem Aspekt der Kognitiven Entwicklung. In: Kohlberg, L.: Zur kognitiven Entwicklung des Kinders. Frankfurt a. M. 1974, 60 f |
Stufe 1: Orientierung an Bestrafung und Gehorsam. Egozentrischer Respekt vor überlegener Macht oder Prestigestellung bzw. Vermeidung von Schwierigkeiten. Objektive Verantwortlichkeit. Stufe 2: Naiv egoistische Orientierung. Richtiges Handeln ist nur jenes, das die Bedürfnisse des Ich und gelegentlich die der anderen instrumentell befriedigt. Bewusstsein für die Relativität des Wertes der Bedürfnisse und der Perspektive aller Beteiligten. Naiver Egalitarismus und Orientierung an Austausch und Reziprozität. Stufe 3: Orientierung am Ideal des ´guten Jungen´ . Bemüht, Beifall zu erhalten und anderen zu gefallen und ihnen zu helfen. Konformität mit stereotypischen Vorstellungen von natürlichem oder Mehrheitsverhalten, Beurteilung aufgrund von Intentionen. Stufe 4: Orientierung an Aufrechterhaltung von Autorität und sozialer Ordnung. Bestrebt, >seine Pflicht zu tun< , Respekt vor der Autorität zu zeigen und die soziale Ordnung um ihrer selbst willen einzuhalten. Rücksicht auf die Erwartungen anderer. Stufe 5: Legalistische Vertrags-Orientierung. Anerkennung einer willkürlichen Komponente oder Basis von Regeln und Erwartungen als Ausgangspunkt der Übereinstimmung. Pflicht definiert als Vertrag, allgemein Vermeidung der Verletzung von Absichten oder Rechten anderer sowie Wille und Wohl der Mehrheit. Stufe 6: Orientierung an Gewissen oder Prinzipien. Orientierung nicht nur an zugewiesenen Rollen, sondern auch an Prinzipien der Entscheidung, die an logische Universalien und Konsistenz appellieren. Orientierung am Gewissen als leitendes Agens und an gegenseitigem Respekt und Vertrauen. |
Tabelle 61 Positionen von George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft (zuerst englisch 1934) |
Mead untersucht u.a. Interaktion und Verstehen unter Menschen. Bekannt geworden ist Geist, Identität und Gesellschaft vor allem durch seine Thesen zur Identität und zum Fremdverstehen. Grundgedanke ist die Überlegung, dass Identität entsteht, indem man sich aus der Perspektive anderer wahrnimmt. Diesen Mechanismus nennt Mead „role-taking“, ein Konzept, das später von Piaget und Nachfolgern wieder aufgegriffen wird und in heutigen Zusamenhängen unter dem Begriff theory of mind diskutiert wird. Role-Tanking funktioniert bei Mead nicht nur in Bezug auf konkrete andere. Sondern Menschen können sich selbst auch aus der Perspektive von sozialen Gruppen wahrnehmen oder noch allgemeiner aus der Perspektive des „Verallgemeinerten anderen“. Identität umfasst dabei einerseits die tatsächlich gesprochenen Worte und Emotionen (Mead bezeichnet diesen Teil der Identität als „I“) und andererseits die organsierte Gruppe anderer (Mead prägt hierfür den Begriff „me“). |
Sechste Sitzung
Der Zusammenhang von Armut zum thematischen Schwerpunkt dieses Seminars erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Aber die Teilnehmerinnen, die in Wohngruppen arbeiten, wissen aus Erfahrung, dass Kinder und Jugendliche, die in Wohngruppen leben, nur selten aus Mittelschichtsverhältnissen stammen. Heime sind weniger eine Einrichtung für Waisenkinder als vielmehr eine Einrichtung für Kinder aus von Armut betroffenen Familien, die es einfach nicht schaffen, ihren Kindern die Bedingungen zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen.
Es macht also Sinn, sich die Frage zu stellen, was Armut ist bzw., ob Armut etwas mit Verhaltensstörungen zu tun hat.
Tab 30: Modell der schichtenspezifischen Sozialisation nach Geulen (1991) |
Das Modell der schichtenspezifischen Sozialisation geht davon aus, dass „ aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen der Väter am Arbeitsplatz, die familiale Sozialisation in der sozialen Unterschicht in mehrfacher Hinsicht (…) anders verlaufe und zu anderen Ergebnissen führe als in der Mittelschicht, daß daher die Kinder aus der Unterschicht in dem durch Mittelschichtskultur dominierten Schul- und Bildungssystem auf größere Schwierigkeiten stoßen und stärker ausselegiert würden, daß sie später wieder nur in der Unterschicht zugänglichen Berufspositionen einrücken könnten .“ |
Tab 31: Lernbehinderung als soziokulturelle Benachteiligung (Begemann 1970) |
zumindest partielle Gleichsetzung von Lernbehinderung und Schichtzugehörigkeit bei Begemann als These, daß Hilfsschüler bis auf eine Minderheit der armen, proletarischen, sozial rückständigen Unterschicht entstammen Schulversagen als Versagen an Mittelschichtsstandards: Hilfsschüler sind unterdurchschnittlich gemessen an den Normen der Mittelschicht. Sie sind soziokulturell benachteiligt Mittelschichtslastigkeit von IntelligenztestverfahrenResümee: Hilfsschulbedürftigkeit kann nicht mit psychologischen, soziologischen oder medizinischen Kategorien beschrieben werden, sondern nur als pädagogische Aufgabe Die Sozialisationsbedingungen von Hilfsschülern: Gefühle der Unterlegenheit, Ausgeliefertheit, Benachteiligung, geringe Bildungsmotivation, Unterschichtsmatriarchat, Familismus (Verkehrskreis beschränkt auf Verwandte und Nachbarn), niedriger Wohnkomfort in unzureichenden Wohnungen, viele Kinder, autoritärer Erziehungsstil, wenig Gelegenheiten zum produktiven Tun, Schülercliquen, die die Schichtgrenzen kaum überschreiten Sprachliche Benachteiligung (in Anlehnung an Bernstein) |
Tab 32: Theorie des sozialen und kulturellen Kapitals (Bourdieu 1979) |
Klassen werden weder über ein Merkmal oder die Summe von Merkmalen definiert (Alter, Geschlecht, soziale Herkunft, Einkommen, Ausbildungsniveau) noch durch eine Kette von Merkmalen, die von einem Hauptmerkmal (z. B. von der Stellung im Produktionsprozess) abgeleitet sind Definition sozialer Klassen als Struktur der Beziehungen zwischen allen relevanten Merkmalen, die jeder derselben … verleiht Klassenzugehörigkeit ist mit einem Bündel ungefähr gleich wahrscheinlicher ungefähr gleichwertiger Lebensläufe verbunden. Wichtig sind: ökonomisches Kapital (neben Durchschnittseinkommen auch Konsum-Indices wie Auto und Bootsbesitz oder Urlaub im Hotel), kulturelles Kapital (mit Indikatoren wie: Häufigkeit der Lektüre nicht berufsbezogener Literatur, Häufigkeit von Theaterbesuch, Nicht-Besitz eines Fernsehers usw.) und soziales Kapital. Der Konsum vor allem solcher Güter, die ein der bürgerliche Lebensart konformes Verhalten symbolisieren lässt, garantiert ein soziales Kapital, ein Kapital an ´mondänen Beziehungen´, die bei Bedarf einen nützlichen Rückhalt bieten, ein Kapital an Ehrbarkeit und Ansehen verleihen |
Siebte Sitzung (29.11.)
Die siebte Sitzung findet wie vielfach angekündigt ausschließlich als Online-Sitzung statt. Sie ist asynchron organisiert. D.h.: Es bleibt Ihnen überlassen, wann Sie sich den Podcast anhören bzw. wann Sie die Textauszüge lesen.
Die sechste Sitzung hat ja u.a. die Kapitalientheorien von Bourdieu zum Gegenstand gehabt. Ein Problem dieses Ansatzes ist es ja, dass er zwar gut geeignet ist, Soziale Ungleichheit zu erklären. Bedeutend schwieriger ist es dagegen, auf Basis der Kapitalientheorie Strategien zu entwickeln, soziale Ungleichheit zu überwinden.
Man kann Armut sehr unterschiedlich erklären. Man kann das Geld in den Vordergrund stellen. Man kann kulturelles und soziales Kapital in den Blick nehmen. Aber irgendwie ist das manchmal ziemlich unergiebig. Wer z. B. in der Familie von Vicky (aus Little Britain), daran arbeiten will, Sozialisationsdefizite zu kompensieren, hat vermutlich schon verloren. Und vermutlich dürfte die Arbeit am kulturellen Kapital – sagen wir über den Besuch von Hochkulturereignissen – auf eine Zerstörung unersetzbarer Kunstwerke hinauslaufen. Ein exotischer Ansatz aus den 1990er Jahren ist da m. E. vielleicht etwas hilfreicher. Nicht, dass Sie den Deutungsmusteransatz unbedingt kennen lernen müssen. Und es ist auch ziemlich unwahrscheinlich, dass dieser Ansatz jemals wieder in den Fokus der wissenschaftlichen Diskussion kommt. Aber ich finde wirklich, dass dieser Ansatz hilfreich sein kann, wenn man mit Kindern aus sozialen Brennpunkten arbeitet. Und deshalb stelle ich diesen Ansatz hier vor.
Tab 33: Deutungsmusteransatz (Eberwein & Mand 1992) |
Brennpunkte als Subkultur mit eigenen Regeln, Situationsdefinitionen, Deutungsmustern) Schul- & Verhaltensprobleme von Kindern & Jugendlichen aus diesen Brennpunkten als Folge kultureller Missverständnisse pädagogische Aufgabe: nicht mehr Sozialisationsdefizite ausgleichen, sondern Brücke bauen von Subkultur zu Mehrheitskultur |
Der zweite Teil der Online-Sitzung befasst sich mit Positionen von D. Hunter (2023. Auf uns gestellt. Hamburg, Nautilus). Bemerkenswert ist dieses Buch, weil es bekannt macht mit der Perspektive von Adressaten der Sozialen Arbeit.
Bitte beantworten Sie folgende Fragen zu den verteilten Textauszügen:
Halten Sie ethnografische Biografien für einen belastbare Methode, um sich mit der Wirklichkeit von Sozialer Arbeit zu befassen?
Halten Sie die Vorschläge von Hunter zum Umgang mit Missbrauchern für angemessen?
Teilen Sie Hunters Empfehlungen für die Soziale Arbeit?
Wenn Sie mögen, können Sie mir die Aufgaben per Mail mitteilen. Nennen Sie mir dabei einen Nickname, kann ich Ihren Beitrag auch hochladen.
Achte und neunte Sitzung
In der achten und neunten Sitzung stelle ich Ihnen eine Lerngruppe aus einer em/soz Förderschule vor. Nur vier Kinder, aber die haben es wirklich drauf. Und deshalb besteht die Klasse wirklich nur aus diesen Kindern.
In den Veranstaltungen geht es darum, herauszufinden, was diese Kinder brauchen – schulisch und therapeutisch.
Leider kann ich Ihnen für diese Sitzungen keinen podcast zur Verfügung stellen. Ist einfach zu brisant.
Das Seminar geht noch einmal abschließend auf die Planungsaufgabe ein und befasst sich in einem zweiten Schritt eher allgemein mit der Frage, welche Methoden in der Arbeit an Verhaltensproblemen sinnvoll sind. Man kann zunächst festhalten, dass es nicht eine Methode, sondern viele Methoden in der Arbeit an Verhaltensproblemen ist. Dabei spielen Konzepte aus der psychotherapeutischen Diskussion eine wichtige Rolle.
Zehnte Sitzung (20.12., Online-Sitzung)
Ich stelle im Seminar mehrere evidenzbasierte Methoden vor. Den Anfang machen Methoden aus der Verhaltenstherapie.
Hier ein Podcast zum Thema Verhaltenstherapie:
Verhaltenstherapie
Tab 10: Konzepte der Erziehungshilfe | ||
These: Weil die Klientel der Erziehungshilfe sich zu großen Anteilen aus benachteiligten Kindern und Jugendlichen rekrutiert & diese Klientel zu erheblichen Anteilen Lern- und Verhaltensprobleme zeigt, haben Konzepte der Erziehungshilfe sehr viel mit Konzepten der Verhaltensgestörtenpädagogik zu tun | ||
Aufgaben der Erziehungshilfe | Theorien der Verhaltensgestörtenpädagogik nach Benkmann 1989 | |
Beratung von Eltern mit ADS-Kindern / hochbegabten Kindern | biophysische Ansätze | |
Beratungsarbeit, Konzeptausrichtung von Heimen & Tagesgruppen, Interventionsstrategien in Einrichtungen der Erziehungshilfe | psychodynamische Ansätze | |
Interventionsstrategien in Einrichtungen der Erziehungshilfe | verhaltenstheoretische Ansätze | |
Konzepte der Randgruppenarbeit (z. B. Lebensweltorientierung) | soziologische Ansätze | |
Ideologischer Hintergrund für Mitarbeiter in Einrichtungen der Erziehungshilfe | politökonomische Ansätze | |
Bezugstheorien & Konzepte von Einrichtungen | ökologische Ansätze | |
nicht von Benkmann erfasst , aber bedeutsam in Einrichtungen, die mit auffälligen Kindern & Jugendlichen arbeiten | ||
Konzeptausrichtung & Methodischer Hintergrund in Einrichtungen der E-Hilfe | Erlebnispädagogik |
Tab 11: Annahmen der Lerntheorie nach Myschker, N.: Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Stuttgart 1993, 95 ff |
klassische Konditionierung: Stimulus & Response (Pawlow)Verstärkungslernen (Skinner): * primäre Verstärker sind mit Trieben, Bedürfnissen & Wünschen verbunden * sekundäre Verstärker stammen aus Zusammenhängen sozialer Bedürfnisse (z.B. Lob, Anerkennung usw.) * positive Verstärker erhöhen durch angenehme Konsequenzen die Verhaltensrate * negative Verstärker erhöhen die Verhaltensrate, indem ein unangenehmer Zustand oder Reiz beendet wirdImitationslernen (Bandura): beobachtete verstärkte Verhaltensweisen werden imitiert |
Tab 12: Merkmale von verhaltenstherapeutischen Trainingsprogrammen nach Mand, J.: Lern- und Verhaltensprobleme in der Schule. Stuttgart 2003 |
Therapievertrag Verstärkerpläne / Tokensysteme Selbstinstruktion Übungen zur Fremd- & Eigenwahrnehmung Entspannungsübungen |
Pauen & Vonderlin 2019: Lernformen in der Verhaltenstherapie |
Klassische Konditionierung Operante Konditionierung Beobachtungslernen Lernen durch Einsicht |
Schneider & Margraf 2019: Verfahren in der Verhaltenstherapie |
Psychoedukation Operante Methoden Kognitive Verfahren Online-Therapie Entspannungsverfahren Elterntrainings Familieninterventionen |
Petermann & de Vries 2019: Aufgaben und Ziele der Psychoedukation |
Vermittlung einer pantientengerechten Krankheitseinsicht Vermittlung einer Behandlungseinsicht Zielgruppen: betroffene Erwachsene, Angehörige, betroffene Kinder & ihre Angehörige Ressourcen bei Kindern & Jugendlichen: personenbezogenKognitive Fähigkeiten Kompetenz, Vertrauen, Wertorientierung Temperament Impulskontrolle Emotionsregulation Überzeugung, dass Leben einen Sinn hatSoziale Beziehungen Sichere Bindung Stabile Beziehungen zu Erwachsenen Beziehungen zu Gleichaltrigen gute Nachbarschaft Umgebungsbezogene Ressourcen gute Schulen Integration in Jugendgruppen oder Vereinen gute Gesundheitsversorgung |
Linderkamp 2019: Operante Methoden |
Problem & Verhaltensanalyse: Wie äußern sich die Probleme verhaltenbezogen? In welchen Situationen zeigt sich die Problematik? Sind Auslösebedingungen bekannt? Wie reagiert das Kind in den problematischen Situationen? Wie reagiert das Umfeld? Gibt es Situationen, in denen die Probleme nicht bestehen? Welche Vorlieben & Stärken hat das Kind?Welche Interaktionsverläufe sind in kritischen Situationen zu beobachten?Ableiten therapeutischer Ziele Wie wird das Zielverhalten regristriert? Von wem wird es wann festgestellt? Wie wird es vermerkt?Immer auch positive Ziele vereinbaren, die vom Kind als erreichbar betrachtet werden!Therapeutische Techniken Chaining: Verstärkung gelungener Verhaltensteile, die aufeinander aufbauen Shaping: Verstärkung oder Annäherung an die gewünschten VerhaltensweisenPrompting: Hilfe durch direkte Hinweise (Erinnern an Regeln, Souflieren) Fading: Schrittweise Reduktion von Hilfestellungen bei wachsender Kompetenz Time-out: Vorübergehender Entzug positiver Verstärker, Nichtbeachtung, Trennung von den am Konflikt beteiligten Personen Verstärkerpläne Wirksamkeit wiederholt prüfen kontinuierlich oder intermittierendTokensystemeResponsecostTherapieverträge |
Zehnte Sitzung (3.1.2024; Online-Sitzung)
Inhaltlich geht es um psychoanalytische Methoden in der Arbeit mit traumatisierten Kindern. Ausgangspunkt ist zunächst die klassische Psychoanalyse. Der Podcast erklärt zunächst die Instanzenlehre von Sigmund Freud und stellt dann ein neueres Konzept der psychoanalytischen Pädagogik vor.
Psychoanalytische Verfahren


In der zweiten Januarsitzung werden wir psychoanalytische Methoden auf den Fall Florian anwenden. Dieser Fall ist deshalb nicht Gegenstand der Online-Sitzung, weil viel zu brisant ist, um die entsprechenden Unterlagen hier zu veröffentlichen.
Ihre Aufgabe für die zehnte Sitzung ist deshalb eine Lektüreaufgabe: Bitte laden Sie sich Freuds „Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben“ herunter und lesen diesen Text. Es handelt sich hier um eine der berühmtesten Fallbeschreibung Sigmund Freuds, die auch „Der kleine Hans“ genannt wird. Freud beschreibt hier einen Jungen, der eine Pferdephobie entwickelt. Und – wenig überraschend – gehen die Probleme irgendwie auf den Ödipuskomplex zurück. Die Sprache der Fallanalyse fühlt sich mehr als einhundert Jahre nach seinem Erscheinen zwar antiquiert an. Aber sehr schwer zu verstehen, ist der Beitrag nicht – zumindest wenn man ihn mit heutigen wissenschaftlichen Beiträgen vergleicht.
Ich wünsche eine angenehme Lektüre!
Wenn ich das richtig sehe, sind hier die Urheberrechte abgelaufen. Sie finden diesen Text, wenn Sie „Der kleine Hans“ in DuckDuckGo eingeben. Ein freier Download ist z. B. bei Psychoanalyse lu möglich.